Netflix-Serie «Transatlantic» erinnert an Krieg und Widerstand
Am Karfreitag startet die Serie «Transatlantic» auf Netflix. Sie handelt von Widerstand und dem Feiern des Lebens in Zeiten des Zweiten Weltkriegs.
Am Karfreitag startet die Serie «Transatlantic» auf Netflix. Sie handelt von Widerstand und dem Feiern des Lebens in Zeiten des Zweiten Weltkriegs.
Lisa sitzt zusammengesunken auf dem Bett. «Ich bin nicht in Partylaune» sagt sie, kaum den Kopf von ihrem Buch hebend, als Varian sie aus dem Zimmer locken will. «Niemand hier hat Grund zum Feiern.»
Ein Fest gibt es sehr wohl in Folge 3 von «Transatlantic». Max Ernst hat Geburtstag, der Maler gehörte zum Kreis der Surrealisten, und surreal wird auch die Feier, die mit Masken, Federschmuck und aufgemalten, weit aufgerissene Augen stattfindet.
Was war die Idee der Surrealisten ursprünglich? Den Schrecken des Ersten Weltkriegs verarbeiten, via Flucht in Traum und Fantasie. Die Truppe, die jetzt am Swimmingpool Reden schwingt, ist bemüht um Leichtigkeit, doch die Schwere hängt in der Luft: Sie fliehen vor den Nazis, es ist das Jahr 1940.
Max Ernst feiert diesen Geburtstag in einer Villa vor Marseille. Dort ist das Hauptquartier einer Gruppe junger Heldinnen und Helden, die ihr Leben riskieren, um Geflüchtete aus dem besetzten Frankreich zu retten – darunter viele Literatur-und Kunstschaffende, die im Nationalsozialismus auf der Liste der meistgesuchten Personen stehen.
Tatsächlich ist «Transatlantic» inspiriert von Julie Orringers Roman «The Flight Portfolio» – der wahren Geschichte über die in Berlin aufgewachsene jüdische Widerstandskämpferin Lisa Fittko (Deleila Piasko), den amerikanischen Auslandskorrespondenten Varian Fry (Cory Michael Smith) und die Millionenerbin Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs). Sie waren Mitglieder der Hilfsorganisation «Emergency Rescue Committee» (ERC).
Gemeinsam mit ihren berühmten Schützlingen agieren sie von einer Villa am Stadtrand aus, wo die drohende Lebensgefahr schnell zu unerwarteten Allianzen und intensiven Liebesbeziehungen führt.
Verbunden mit der Rolle
Die Schweizer Schauspielerin Deleila Piasko spielt Lisa Fittko, die keine Lust auf dieses – von der später weltberühmten Kunstsammlerin Peggy Guggenheim angeregte – Fest in der Villa Air-Bel hat. Lisa ist eine Art Action-Heldin des ERC. Eine unerbittliche (und vielleicht verbitterte) antifaschistische Kämpferin, die sozusagen an vorderster Front agiert: Sie hilft Flüchtlingen, zu Fuss über die Pyrenäen zu fliehen. Konkret: Sie durch ein Minenfeld aus lokaler Polizei, verworrener Bürokratie, britische Geheimdienste, amerikanische Diplomaten und die Anfänge des französischen Widerstands zu führen.
Für Deleila Piasko nicht ganz einfach zu spielen; und dann eben doch wieder: Sie selber stammt aus einer liberalen jüdischen Familie. Ihre Vorfahren flüchteten noch vor dem zweiten Weltkrieg – nach Israel und in die Schweiz.
Die persönliche Komponente half ihr, sich in die Rolle von Lisa Fittko zu versetzen, und mehr: sich bewegen zu lassen. «Lisa hatte diesen unbedingten Willen, Widerstand zu leisten», sagt die Schauspielerin. «Das und ihr Mut haben mich enorm berührt. Und inspiriert. Widerstand kann einen Unterschied machen.»
Unerwartete Dringlichkeit
Das Geburtstagsfest ist deshalb eine der stärksten Szenen, weil sie die Zerrissenheit der Situation exemplarisch aufzeigt: Der feuchtfröhliche Abend kann noch so sehr mit Akrobatinnen, Akrobaten und lustiger Schminke auftrumpfen, der Elefant steht im Raum – am Eingang der Villa in Südfrankreich: Alle sind in Lebensgefahr. Die Künstlerinnen, die Freiheitskämpfer, die Freiheit des Denkens.
In der zweiten Produktionswoche und an Deleila Pittkos viertem Drehtag – startete Russland einen gross angelegten Angriffskrieg gegen die Ukraine. Für die Crew – wie für den Rest der Welt – hiess das: Man sah sich plötzlich mit einem neuen europäischen Krieg und einer neuen Welle von Geflüchteten konfrontiert. In Echtzeit. Die Geschehnisse des Februar 2022 verleihen der historischen Serie eine Dringlichkeit, wie sie kein Trailer besser hätte rüberbringen können.
Der vom Geist des Surrealismus gefärbte Schwebezustand in und rund um die Villa schiebt das Schwere und Finstere der Situation ein wenig zur Seite. Während der Garten verwildert, das Schwimmbad verfällt und sich alle fragen, wer den nächsten Tag noch erleben wird, wird geliebt, geflirtet, gelebt.
Die Tage sind gefüllt mit unerwarteten Kollaborationen, Liebesaffären und viel Kunst. «Polarstern» nennt Max Ernst den Widerstandskämpfer Varian Fry in seiner Geburtstagsrede. Das gilt für die ganze Serie: Erhellend in ihrer Aktualität, wegweisend vielleicht gar, was Licht in dunklen Zeiten angeht.
* Dieser Text von Nina Kobelt, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.