Alexej von Jawlenskys Tessiner Jahre im Kunstmuseum Lugano
Gewitter, Landschaften und Gesichter, die immer abstrakter werden: Alexej von Jawlenskys Tessiner Jahre waren prägend für seinen Weg zur Abstraktion. Das Museo d'arte della Svizzera italiana in Lugano zeigt 22 Werke, die zwischen 1914 und 1921 entstanden sind.
Gewitter, Landschaften und Gesichter, die immer abstrakter werden: Alexej von Jawlenskys Tessiner Jahre waren prägend für seinen Weg zur Abstraktion. Das Museo d'arte della Svizzera italiana in Lugano zeigt 22 Werke, die zwischen 1914 und 1921 entstanden sind.
Hellgrün erstrahlt der Raum, der Jawlenskys Tessiner Schaffensphase beherbergt. Die Farbe könnte nicht besser gewählt sein, zeigte sich doch der aus Russland stammende expressionistische Künstler tief berührt von der Tessiner Flora, die bei seiner Ankunft Anfang April 1918 förmlich zu explodieren schien.
Die «starke und geheimnisvolle Natur» der Südschweiz habe die Arbeit an seinen «Variationen» stark geprägt, schreibt das Mitglied der Künstlergemeinschaft Der Blaue Reiter fast zwanzig Jahre später in seinen Lebenserinnerungen. Die drei in Ascona verbrachten Jahre seien die interessantesten seines Lebens gewesen, hält Jawlensky fest, denn die Natur zwinge einen, mit ihr «zusammenzuleben». Entsprechend ist die Ausstellung in Lugano betitelt: «Alexej von Jawlensky in Ascona ‘…die drei interessantesten Jahre meines Lebens…’»; sie dauert von 23. April bis 1. August.
Das Kraftvolle der Natur schlägt sich in Jawlenskys Bildern in Form von Farben nieder. Da ist eine Variation über den Sonnenaufgang in kräftigen Grüntönen, die einem förmlich entgegenspringen oder das Bild «Variation: Frisch und klingend», dem etwas Luftig-Leichtes innewohnt.
Von der Westschweiz ins Tessin
Vor seinem mehrjährigen Aufenthalt im Tessin lebt und arbeitet Jawlensky im waadtländischen Saint-Prex. Dorthin war er vor dem Ersten Weltkrieg aus Deutschland geflüchtet. Der Künstler sucht nach anderen Formen und Farben, um auszudrücken, was ihn nach den schrecklichen Erlebnissen des Kriegsbeginns bewegt. Im September 1917 zieht Jawlensky mit seiner Gefährtin Marianne Werefkin nach Zürich, wo er erkrankt und ihm geraten wird, sich in die klimatisch angenehmeren Gefilde des Südens zu begeben. Dem Rat folgend, lässt sich die Gruppe in Ascona in Seenähe nieder.
Die in der Schweiz entstandenen Werke hätten eine «erzählerische Qualität» und zeigten den tiefen Einschnitt, den der Kriegsausbruch und die überstürzte Flucht beim Künstler hinterlassen hatten, erklärte Kuratorin Cristina Sonderegger an der Medienkonferenz im Kulturzentrum Lugano Arte e Cultura LAC.
Bewegung hin zur Abstraktion
Tatsächlich ist in der chronologisch angeordneten Schau, die sich auf einen einzigen Raum im ersten Stock konzentriert, die Bewegung in Jawlenskys Kunst hin zur Abstraktion wahrnehmbar. Zu Beginn malt der Weggefährte Wassily Kandinskys noch Formen, welche Landschaften erahnen lassen: runde Hügel, baumartige Gewächse, sich auftürmende Wolken.
Je länger der Aufenthalt in der Schweiz dauert, desto abstrakter werden seine Bilder. Im 1918 geschaffenen Bild «Abstrakter Kopf: Urform» sind Augen, Nase und Mund nur noch schemenhaft erkennbar. Die Grenzen zwischen Gesicht und grafischer Anordnung sind fliessend. Auch der Bildschnitt ist ein anderer als bei seiner Serie «Mystischer Kopf: Mädchenkopf», die zwar ebenfalls von 1918 stammt, aber scheinbar einer anderen Schaffensepoche angehört.
1921 reist Jawlensky zurück nach Deutschland. Sein Abschied von Ascona ist auch ein Abschied von seiner langjährigen Gefährtin Marianne Werefkin, mit der ihn während fast 30 Jahren eine unkonventionelle Liebe verbunden hatte. Ihrer beider Spuren prägen das Dorf am Ufer des Lago Maggiore bis heute – mit der Sammlung der Stiftung Marianne Werefkin und dem «Mädchenkopf» von Alexej von Jawlenksy.