Grosse Mafia-Razzia gegen ‘Ndrangheta in Deutschland
Bei einer der grössten Razzien in Europa gegen die süditalienische 'Ndrangheta sind rund 150 mutmassliche Mafiosi in mehreren Ländern festgenommen worden.
Bei einer der grössten Razzien in Europa gegen die süditalienische 'Ndrangheta sind rund 150 mutmassliche Mafiosi in mehreren Ländern festgenommen worden.
Nach monatelangen Ermittlungen schlugen am Mittwoch allein in Deutschland mehr als 1000 Polizisten zu und vollstreckten rund 30 Haftbefehle in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und dem Saarland. Die meisten Verdächtigen wurden in Italien verhaftet, nachdem die Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria 108 Haftbefehle erwirkt hatte. Auch in Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal, Rumänien und Slowenien wurden mutmassliche Helfer festgenommen.
«Die heutigen Razzien sind eine der grössten bislang durchgeführten Operationen im Kampf gegen die italienische organisierte Kriminalität», sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser. Die ‘Ndrangheta ist nach Einschätzung des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) derzeit die «relevanteste Mafia-Gruppierung» mit einer dominanten Stellung auf dem europäischen Kokainmarkt. Sie gilt als gefährlicher als die sizilianische Cosa Nostra und die Camorra aus Neapel.
Und sie ist in Deutschland aktiv, wie die aktuellen Ermittlungen der Operation «Eureka» ergaben. Innerhalb der ‘Ndrangheta wurden drei grosse Gruppen identifiziert, die zu den mächtigsten Familien gehören und sich um den internationalen Drogenhandel kümmern sollen. Eine davon hat den Fahndern zufolge auch einen Ableger in München. Sie wird dem Clan der Nirta-Strangio zugerechnet – dieser wiederum war 2007 in die Mafiamorde von Duisburg (Nordrhein-Westfalen) verwickelt, als sechs Menschen erschossen wurden.
Den nun Festgenommenen wird neben Geldwäsche, bandenmässiger Steuerhinterziehung, gewerbsmässigem Bandenbetrug vor allem auch Rauschgiftschmuggel vorgeworfen. Die ‘Ndrangheta gilt als eine der führenden Organisationen beim Drogenhandel mit Südamerika.
Der italienische Staatsanwalt Giuseppe Lombardo berichtete an einer Medienkonferenz in Reggio Calabria, dass während der Ermittlungen und bei der Razzia rund 23 Tonnen Kokain sichergestellt worden seien. Er rechnete vor, dass dieses Rauschgift einen Strassenwert von etwa zwei Milliarden Euro gehabt habe. Dies mache die Grössenordnung deutlich, mit der es die Fahnder bei der ‘Ndrangheta zu tun hätten, sagte er.
Die Mafia versuche auf unterschiedliche Art und Weise, das Drogengeld zu waschen, unter anderem im Gastgewerbe, Tourismus und auf dem Immobilienmarkt. Lombardo berichtete zudem von Erkenntnissen, wonach Organisationen aus China in das Geldwäschesystem involviert seien.
Das Verfahren wurde von einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe geführt, an der Europol und Eurojust, die Agentur der EU für Zusammenarbeit in Strafsachen, beteiligt seien. Die Ermittlungen hatten schon im Juni 2019 mit einer gemeinsamen Aktion der belgischen Staatsanwaltschaft und der Carabinieri begonnen. Neben Italien waren am Ende Behörden aus Belgien, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien dabei. Italien lobte die Zusammenarbeit. Staatsanwalt Giovanni Bombardieri sprach von der «vielleicht wichtigsten Operation mit der bislang grössten Kooperation» im Kampf gegen die organisierte Kriminalität.
«Mit den heutigen, europaweit koordinierten Massnahmen haben die Strafverfolgungsbehörden der ‘Ndrangheta einen empfindlichen Schlag versetzt», sagte InnenMinisterin Faeser. Die ‘Ndrangheta hat ihre Wurzeln in Kalabrien, der Fussspitze des italienischen Stiefels. Laut BKA hat sie eine hierarchische Struktur und wiederholt gezeigt, dass sie fähig sei, Wirtschaft und Politik in Italien zu infiltrieren. Darüber hinaus sei die Gruppierung hauptsächlich in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz, Kanada, den USA sowie Kolumbien und Australien tätig.
Der Begriff ‘Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Mut oder Treue. Die Mafia-Organisation soll sich in den 1860er Jahren gegründet haben, als eine Gruppe Sizilianer von der italienischen Regierung von der Insel verbannt wurde.