«Schwyz sollte nicht immer abwarten, bis alle anderen Kantone agiert haben»
mit Jonathan Prelicz sprach Jürg Auf der Maur
Der 33-jährige SP-Politiker Jonathan Prelicz präsidiert neu den Schwyzer Kantonsrat. Als höchster Schwyzer hofft er, dass er seine Opernstimme im Ratssaal nicht einsetzen muss.
mit Jonathan Prelicz sprach Jürg Auf der Maur
Sie sind Opernsänger, Chorleiter und Dirigent. Wie wird sich das auf den Präsidentenstuhl auswirken? Ich habe eine starke Stimme. Das kann sicher eine gewisse Auswirkung haben. Ich kann mich mit der Stimme durchsetzen. Dazu kommt, dass ein klassischer Sänger gewohnt ist, viel zu war-ten. In einer Probe kann es sein, dass man mehrere Stunden auf seinen Einsatz warten muss.
Das heisst?
Ich habe sehr viel Geduld, ich kann warten und zuhören, bevor ich mich einbringe. Das ist sicher keine schlechte Eigenschaft. Als Kantonsratspräsident ist man oft im Warte-Modus. Werden Sie ihre laute und klare Stimme auch einsetzen müssen? Ich hoffe nicht, dass ich laut werden muss. Es kommt ja zum Glück sehr sel-ten vor, dass es im Rat zu einem Tohuwabohu kommt.
Es gibt ja auch Kritik am Stil, der im Kantonsrat vorherrscht. Ihr Parteikollege ärgerte sich über ein «toxisches Klima». Wo sind Ihre Grenzen?
Ich will der Linie meiner Vorgänger treu bleiben und will das Rad nicht neu erfinden. Alles, was sich im Rahmen bewegt und einigermassen anständig daherkommt, werde ich durchlassen können. Wird es zu angriffig, werde ich sicherlich einmal einschreiten und zur Mässigung aufrufen. Ich bin aber der Ansicht, dass es nicht Aufgabe des Präsidenten ist, bei jedem Votum, das mir nicht passt, zu intervenieren.
Gerade die SP-Bank wird von bürgerlicher Seite oft hart angegangen. Man spricht etwa von Sozialisten statt von Sozialdemokraten. Das ginge ja noch. Aber wir werden so-gar als Kommunisten betitelt.
Das macht Ihnen nichts aus?
Persönlich finde ich, dass das nicht geht. Aber das fällt für mich in einen Graubereich, ob der Kantonsratspräsident deshalb eingreifen muss. Ich denke, die Parlamentarier, die mit solchen Begriffen um sich werfen, disqualifizieren sich selbst. Welche Ziele haben Sie sich für Ihr Präsidium gesetzt? Ich bin seit sieben Jahren im Kantonsrat dabei und bin nach wie vor begeistert von unserem politischen System. Diese Begeisterung möchte ich mit der Bevölkerung teilen und sie ihr auch zeigen. Gerade auch bei den öffentlichen Auftritten möchte ich deshalb die positiven Seiten unserer direkten Demokratie hervorheben. Ich will zeigen, was wir in den letzten Jahren alles erreicht haben und wie gut es uns in der Schweiz geht. Sonst sind Ihnen die Hände ja
ziemlich gebunden.
Als Kantonsratspräsident schreibt man weder Vorstösse noch Leserbriefe. Der Präsident vertritt den Rat gegen aussen. Da kann ich schon Akzente set-zen und Botschaften platzieren – aber keine im engeren politischen Sinn. Freuen Sie sich denn auf diese «Cüpli- Anlässe»? Ich freue mich auf die Begegnung mit den Leuten und nicht auf die Cüplis. Genau deshalb finde ich die Politik auch so spannend. Man lernt viele Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen kennen. Es ist ein Privileg, dadurch Dinge zu lernen, die man sonst nicht lernen würde. Sie gelten als gemässigter SP-Politiker. Gibt es Punkte, die Ihnen im Kanton Schwyz nicht gefallen? Ich bin in einer Oppositionspartei. Es würde etwas falsch laufen, wenn mir als Oppositionspolitiker im Kanton Schwyz nichts gegen den Strich ginge, und wenn ich alles gut finden würde. Es läuft vieles nicht so, wie ich mir das wünschen würde.
Was denn?
Es ist wichtig, dass der Kantonsratspräsident sich genau an diesem Punkt zurückhält.
Trotzdem, was hätten Sie gerne?
Es ist hinlänglich bekannt, dass ich mit der Kulturpolitik nicht immer einverstanden bin. Auch das Einbürgerungsverfahren halte ich für reformbedürftig. Dazu kommt, dass ich den hier betriebenen Steuerwettbewerb, die Steuerpolitik des Kantons, lieber anders sähe. Kritisiert wird, dass die SP mit Themen wie «Gender» und «Woke» zu weit weg von der Bevölkerung sei. Die Schwyzer Bevölkerung ist sehr divers und unterschiedlich. Was den einen gefällt, gefällt anderen nicht. Mir gefällt auch nicht alles, was anderen Parteien wichtig ist. Offensichtlich holen wir mit unseren Themen nicht alle ab. Aber das geht auch anderen so. Sie stützen also den Kurs der SP, wie er von der Berner Zentrale vorgegeben wird.
Im Moment beschäftige ich mich primär mit kantonalen Geschäften. Aber ja, im Grundsatz unterstütze ich den Kurs der SP Schweiz, dass man mit demokratischen Mitteln erreichen will, dass jene, die wenig haben, auch mehr bekommen. Wie sollte der Kanton Schwyz in Ihren Augen sein? Ich wünschte mir schon, er wäre manchmal etwas mutiger. Man sollte nicht immer abwarten, bis alle anderen Kantone agiert haben. Ich denke etwa ans Kulturgesetz. Haben Sie eine Vision für den Kanton Schwyz? Da gibt es vieles zu nennen, von der Überarbeitung der Einbürgerungsverfahren bis zum Bildungssystem, das weiterentwickelt werden muss. Da gehört auch die Musikschulinitiative dazu, bei welcher ich die Kampagne leite. Das ist vielleicht meine Art zu politisieren. Ich will mit kleinen Schritten für Verbesserungen kämpfen. War es für Sie immer klar, dass Sie der SP beitreten? Wie kam es dazu? Ich bin schon sehr lange politisch interessiert. Mit «Smartvote» sah ich schnell, wofür mein Herz schlägt. In die Politik stieg ich nach einer Chorprobe ein. Der frühere SP-Präsident Andreas Marty, der im selben Chor sang, suchte weitere Personen, um eine Wahlliste zusammenzustellen. Das war im Jahr 2012. Ich erklärte mich dazu bereit, dass mein Namen auf die Liste gesetzt wird.
Gibt es ein Ereignis, das Sie politisiert hat?
Bei mir war es der Rassismus im Alltag, den ich erlebte. Ausländerkritische Voten nahmen mich von Anfang an sehr mit. Ich fand und finde das sehr schlimm und wollte etwas dagegen unternehmen. Hat das mit Ihren Wurzeln zu tun?
Mein Grossvater war Pole, aber we-der mein Vater noch ich sprechen Polnisch. Ich wuchs in Arth auf. Der Grossvater zog, als mein Vater fünf Jahre alt war, wieder zurück nach Polen. Ich habe zwar selber nie mit Rassismus zu kämpfen gehabt, aber geprägt hat mich das trotzdem. Ich heisse halt nicht Auf der Maur. Ich erlebte Dinge, die andere nicht erlebt haben.