Landesmuseum Zürich zeigt Italianità als Ressource der Schweiz
Wer sind die Menschen, die einst die Italianità in die Schweiz brachten? Das Landesmuseum Zürich stellt sie in einer Schau ins Zentrum. Im Gespräch mit Keystone-SDA erklärt Direktorin Denise Tonella, wie die Schweiz noch stärker von dieser «Kraft» profitieren könnte.
Die Vespa, der Apérol Spritz, der Panettone – sie alle gehören längst zum Schweizer Lebensgefühl. Über den Gotthard gebracht haben die Italianità einst Arbeitskräfte aus Italien und die Menschen aus der italienischen Schweiz.
Ab kommendem Freitag widmet das Landesmuseum in Zürich dem immateriellen Kulturerbe eine Ausstellung unter dem Titel «Erfahrungen Schweiz – Italianità». Zehn Menschen erzählen auf raumfüllenden Videoprojektionen, was für sie Italianità bedeutet, wo sie sich zu Hause fühlen und was sie bewegt. Unter ihnen sind ehemalige Saisonniers, Tessiner, eine Grenzgängerin, die nach Italien zurückgekehrt ist sowie jüngere Zugewanderte und eine Vertreterin einer ehemaligen italienischen Kolonie.
Zwischen Identitäten
Die Frage eines Zeitzeugen habe sie besonders berührt, erzählt Denise Tonella, Direktorin des Schweizerischen Nationalmuseums und Ko-Kuratorin der Ausstellung, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA: «Was ist überhaupt entscheidend? Wo man geboren ist, wo man lebt, wo man stirbt oder wo man begraben ist?» Dieses «Schwingen zwischen verschiedenen Identitäten» präge die Ausstellung stark, sagt Tonella.
Mit «Italianità» startet das Landesmuseum in Zürich ein neues Ausstellungsformat. In der Reihe «Erfahrungen Schweiz» will die Institution Themen der Zeitgeschichte Raum geben. Statt Objekte stünden Menschen und ihre Erfahrungen im Zentrum: «Die Stimmen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werfen einen vielfältigen Blick auf die jüngste Geschichte und sprechen auch jene Bevölkerungsgruppen an, die bisher vielleicht dachten, ihre Lebenswelt sei nicht im Nationalmuseum zu finden», sagt Tonella.
Auch aus diesem Grund hat sich das Kuratorenduo, Denise Tonella und Jose Cáceres Mardones, für eine Ausstellungsform entschieden, die «Ort der Begegnung» sein könne. Die ganze Ausstellung ist als Arena aufgebaut, zudem sind diverse Veranstaltungen zum Thema «Italianità» geplant, unter anderem mit der Universität Bern.
Kontakt zu Italien
Dass die Eidgenossenschaft ohne die italienische Schweiz eine andere wäre, ist für die im Tessin aufgewachsene 43-jährige Tonella unbestritten. «Für das Land ist der Beitrag der italienischen Schweiz essentiell.» Dass der Südkanton beispielsweise im Kontakt mit dem Nachbarn und Handelspartner Italien eine wichtige Scharnierfunktion habe, sei vielen nicht bewusst.
Nicht nur sprachliche Kenntnisse brächten hier Vorteile, sondern auch gemeinsame kulturellere Hintergründe. Dies sei eine«Kraft», von der die Schweiz noch mehr profitieren könnte, zeigt sich die Direktorin des Nationalmuseums überzeugt.
Insbesondere die italienische Sprache könnte in der Restschweiz stärker gefördert werden. Die Weltsprache Englisch, aber auch Spanisch oder Chinesisch als Freifach in der Mittelschule drohen der dritten Landessprache den Rang abzulaufen. Wie wichtig das Bewahren der eigenen Sprache für die Menschen in der italienischen Schweiz ist, machte vor kurzem eine umstrittene Vorlage im Tessiner Grossen Rat deutlich. Diese sieht vor, dass Deutsch auf Sekundarstufe ein Jahr früher unterrichtet wird. Nach der knappen Annahme der Vorlage diskutierten namhafte Vertreter aus Kultur und Wissenschaft über die Gefahr einer Verdrängung des Italienischen durch Deutsch und Englisch.
Anderer Landesteil, anderer Humor
In den 1970er Jahren noch sei das italienische Lebensgefühl etwas «Fremdes» gewesen, blickt Tonella zurück. Olivenöl war in den hiesigen Küchen kaum gebräuchlich, auf der Pizza landete Gruyère oder Gala-Käse. Heute sei die italienische Kultur und Wesensart Teil davon, was die Schweiz ausmache – ein «intrinsischer Bestandteil», wie die Historikerin sagt.
Die gebürtige Tessinerin selbst lebt seit 25 Jahren diesseits des Gotthards. Manchmal vermisse sie den Humor ihrer Heimat. Nach einigen Jahren im Norden habe sie aber den Deutschschweizer Humor verstanden, erzählt sie und lacht. Dennoch glaube sie, dass man in der Südschweiz rascher miteinander ins Gespräch komme und auch rascher gemeinsam lache.
Dass Sprachen Verständigung und Zugehörigkeit schaffen, aber auch Hindernisse bilden können, zeigt ab Mitte September eine weitere Ausstellung im Landesmuseum Zürich. Dann soll die interaktive Schau mit dem Titel «Sprachenland Schweiz» neue Perspektiven eröffnen – und das Bild der vielfältigen schweizerischen Identität um einige Mosaiksteine erweitern.