«Der Tag ist komplett ausgefüllt: Schule, Tennis, Training»
Das ist schon speziell: Ich kenne meinen Interview-partner schon lange, sehr lange. Er konnte da noch nicht laufen. Leandro ist vier Tage jünger als meine Tochter Janne. Beim Babyschwimmen haben sich die Mütter der beiden kennengelernt. Danach haben sie viel Zeit zusammen verbracht. Leandro war fünf, als mich seine Mutter Tanja fragte, ob ich nicht mal mit ihm Tennis spielen könnte. Ich habe als Tennislehrer schon viele Kinder bei ihren ersten Versuchen auf dem grossen Sandplatz begleitet. Aber noch nie zuvor hatte ich so viel Ballgefühl, Spielwitz, Freude und Talent auf der anderen Seite gesehen.
Aber warum wollte der kleine Leandro unbedingt Tennis spielen? Im Fernsehen hatte er ein Match zwischen den Tennis-Giganten Roger Federer und Rafael Nadal gesehen. Das wollte er auch machen. Heute ist Leandro Romeo Zgraggen Sportstudent in Grand Forks, North Dakota. Doch der Reihe nach.
Die beste Ausbildung – Melanie Molitor
Leandro Zgraggen aus Wilen durfte bei Melanie Molitor, Mutter von Martina Hingis, in Wollerau vorspielen und bleiben. Bleiben dürfen nur die wenigsten, denn in die Molitor-Schule kommen nur die allerbesten. Melanie Molitor ist unbestritten eine der bes-ten und erfolgreichsten Ausbildnerinnen der Welt. Molitor hat jahrelang die Juniorenabteilung des TC Ried Wollerau trainiert und ihr eigenes Trainingsteam betreut. Sie hatte Leandro gesehen und sofort erkannt, welches Potenzial da schlummert. «Bei Melanie Molitor habe ich das Rüstzeug für meine Karriere erhalten. Die Basics gelernt, die man zum Tennis spielen benötigt.» Hauptthemen seien Disziplin, Technik, Taktik und nochmals Disziplin gewesen. «Melanie hat immer gesagt, wenn du das hier überstehst, dann bist du bereit für die Tenniswelt da draussen», erzählt der 18-jährige Wollerauer und lacht.
Die gute Trainingspartnerin – Celine Naef
Ein halbes Jahr jünger als Leandro Zgraggen ist die Feusisbergerin Celine Naef, die damals zur gleichen Trainingsgruppe bei Molitor gehörte. «Wir haben jeden Tag miteinander trainiert », erzählt Zgraggen. Celine Naef sorgte in diesem Jahr für Furore. Sie kletterte in den vergangenen Monaten die Weltrangliste unaufhörlich nach oben. Im Oktober 2022 lag sie im WTA-Ranking an Position 874. Mit vier Siegen an kleineren ITF-Turnieren in Reims, Cherbourg-en-Cotentin (beides Frankreich), Loughborough (England) und Porto (Portugal) zündete sie den Turbo. Dank ihrer starken Leistungen startete sie bei zwei Grand Slam Turnieren: den French Open in Paris und Wimbledon. Aktuelles WTA-Ranking 165. «Celine war schon immer sehr diszipliniert und trainingsfleissig. Sie hat alles umgesetzt, was man ihr gesagt hat. Ihre Leistungen sind mega-stark.»
Mit 16 Jahren der grosse Schritt – Arkansas City
Von Molitor ist er mit 15 zu Patrick Sommer, einem deutschen Ex-Profi und Tennistrainer, nach Lachen gewechselt. Für Tennis-Talent Zgraggen stand aber schon früh fest, eigentlich möchte er auf eine Tennis-Akademie. Jeden Tag Tennis, das war sein Ziel. Eine Akademie in Frankfurt war kurz ein Thema, aber zu teuer. Und plötzlich kam die ganz grosse Lösung ins Spiel, ein College in den Vereinigten Staaten. Tennis spielen, Erfahrungen sammeln und parallel eine Ausbildung machen. Da war er 16.
Im August 2021 begann das grosse Abenteuer: Arkansas City im Bundesstaat Kansas. Arkansas City ist nicht gross, hat nur rund 12 000 Einwohner. Seine kleine Schule zählt 3000 Schüler. Als ich ihn verwirrt anschaue, muss er schmunzeln: «In den USA ist das halt klein, gross ist da ganz anders.» Zwei Jahre ist das nun schon her. Mittlerweile hat er seinen Abschluss in Business Administration in der Tasche, die Basis, um den Bachelor zu machen. Die zwei Jahre haben ihn reifer gemacht. Sein Traum ist in Kansas Realität geworden: Jeden Tag Tennis spielen, drei bis vier Stunden täglich. «Der Tag ist komplett ausgefüllt: Schule, Tennis, Krafttraining», sagt Leandro Zgraggen und strahlt.
Das zweite Ziel im Studium – der Bachelor in Marketing
Mitte August geht der Tennisfan zurück über den Grossen Teich. Grand Forks, eine Stadt mit knapp 60 000 Einwohnern in North Dakota, ist dann seine neue Heimat. In zwei Jahren möchte er dort seinen Bachelor in Marketing abschliessen. Für die University of North Dakota wird er Tennis spielen. Über 20 Meisterschaftsspiele stehen in einer Saison in seiner Agenda. «Da sind wir dann zwischendurch mal für ein, zwei Wochen von der Uni befreit und machen unsere Matches.» Zudem wird er mit seinen Tenniskollegen von der Uni an regionalen Turnieren spielen. Wenn keine Spiele mit der Uni-Mannschaft oder Turniere sind, trainiert er jeden Tag seine drei bis vier Stunden. Dafür ist er ja dort, das will er so.
Vier Monate in der Schweiz – Turniere spielen
Jedes Jahr von Mitte Mai bis Mitte August und von Mitte Dezember bis Mitte Januar sind Semesterferien, dann ist der Hobby-Zauberer in der Schweiz. Seit zwei Monaten trainiert er bei Tenniscoach Jan Solcani. Der 43-jährige Slowake hat die halbe Welt bereist, um sich die besten Trainingsmethoden anzuschauen. Die Zusammenarbeit mit Tennistrainer Solcani scheint sich sehr schnell auszuzahlen. Denn die letzten beiden Turniere von Leandro Zgraggen waren sehr erfolgreich, er ist in Topform.
Anfang Juli hat er das Finale der Aargauischen Meisterschaften erreicht. Auf seinem Weg ins Finale hat Zgraggen gegen Jonas Schär, die Nummer 15 der Schweiz, gewonnen. «Das war ein echtes Highlight, ich habe noch nie gegen einen so hochklassierten Gegner gewonnen.» Im Finale gabs dann aber einen auf den Deckel. Titelverteidiger Alexander Sadecky (N3, 32) schickte seinen 17 Jahre jüngeren Konkurrenten mit einer deftigen Niederlage zurück nach Wilen. 6:1, 6:1 gewann der frühere Profispieler. «Sadecky hat das wirklich sehr gut gemacht. Er hat mich analysiert und genau die Bälle gespielt, die ich nicht mochte», erklärt Zgraggen seine Finalniederlage. Letztes Wochenende konnte Leandro Zgraggen ein kleineres R1/R4-Turnier in Bremgarten gewinnen.
Das kommende Wochenende ist spielfrei. Dann ist er mit seinem Götti für ein paar Tage auf Sardinien. «Kein Tennis, kein Sport, einfach mal etwas abschalten.» Doch danach geht es wieder los. Ein paar Stündchen Tennis am Tag, und das nächste Turnier kommt bestimmt.
Tennis-Talent Leandro Romeo Zgraggen aus Wilen ist Sportstudent an der University of North Dakota. Von Mitte Mai bis Mitte August ist er in der Schweiz und spielt Turniere. – Ein persönliches Treffen.