Die Hierarchien geraten ins Wanken
Es ist Fluch und Segen zugleich, dass der Beginn der Karriere von Simona Aebersold ausgerechnet in die Hausse der 17-fachen Weltmeisterin Tove Alexandersson fällt. Einerseits schnappt ihr die 30-jährige Schwedin Sieg um Sieg im OL-Sport weg, andererseits spornen die Niederlagen zu noch mehr Training und zu perfekten Leistungen an.
Mit den Wald-Weltmeisterschaften in Flims/Laax scheint die Wende einzutreten. Aebersold, die an den vergangenen drei globalen Titelkämpfen Alexandersson zehnmal zur Goldmedaille gratulieren musste und selber mit viermal Silber und viermal Bronze abgereist war, legte mit Gold vor.
«Ich bin einfach nur stolz auf meine Leistung», sagte die Siege-rin. «Ich habe noch nie so viel in eine WM investiert und habe unter Druck geliefert.» Die Studentin der Sportwissenschaften mit Nebenfach Psychologie und Pädagogik nahm die letzte Stufe des Treppchens.
Die Heim-WM in Flims/Laax macht Aebersold möglicherweise zur neuen Nummer 1 im Orientierungslauf. Physisch ist die Bernerin näher an der Schwedin dran, nun zahlt sich das höhere Niveau im Kartenlesen endgültig aus.
Im alpinen Felssturzgelände bei Flims nahm die Schweizerin im richtigen Moment Tempo raus, um Fehler zu vermeiden. «Ich lief in der Vergangenheit oft zu risikoreich, heute aber habe ich genau richtig dosiert», analysierte sie. Alexandersson, die häufig die Konkurrenz mit ihrer Laufstärke bezwingt, scheint nicht mehr im Vorteil zu sein. Am Donnerstag unterlief ihr zu Beginn ein grober Fehler, den sie mit ihrer Physis nicht mehr ausbügeln konnte.
Wie der Vater so die Tochter
Mit Gold in der Königsdisziplin Langdistanz stellt sich auch die Frage, ob Aebersold ihren Vater Christian überflügelt hat, der 1991, 1993 und 1995 mit der Schweizer Männerstaffel triumphierte. «Es zählt die Anzahl der Goldmedaillen », meinte der 61-Jährige mit einem Augenzwinkern.
Der Arzt ist des Lobes voll über die Leistung seiner Tochter: «Gold ansagen und es dann auch laufen, das ist grossartig.» Die Technik beim Kartenlesen habe den Unterschied gemacht. «Simona behält auch in intensiven Momenten kühlen Kopf. Sie macht weniger Fehler als andere», sagte er mit Verweis auf ihre grösste Fähigkeit.
Flims/Laax könnte zum Wendepunkt und Karrierehöhepunkt werden, mutmasst Aebersolds Vater. «Bei Simona ist jetzt der Druck weg. Das wird sie beflügeln. Ich traue ihr noch sehr viel zu.» Gleiche Gedanken äussert ihr Freund Harlem Fosser. Der Norweger, am Donnerstag erfolgreicher Titelverteidiger über die Langdistanz, sag-te im Vorfeld: «Ich habe keine Zweifel daran, dass sie die Beste sein wird. Sie hat es bereits in sich. Es ist nur noch ein kleiner Schritt.» Diesen letzten Schritt hat die Schweizer Teamleaderin nun geschafft. Und es spricht einiges für eine zweite Goldmedaille am Samstag über die Mitteldistanz. Aebersold tritt als Europameisterin an. Diesen Titel holte sie sich 2022 in Lettland in technisch sehr schwierigem Gelände mit einem Sieg über – Tove Alexandersson.
Endlich steht Simona Aebersold zuoberst auf dem WM-Podest. Mit 25 ist die Seeländerin im besten Alter und rüttelt sowohl an der Hierarchie im OL-Sport als auch am familieninternen Ranking.