Das Berner Erfolgsrezept
Es ist noch nicht lange Jahr, da war YB ein Synonym fürs Versagen. 31 Jahre blieb der Berner Verein ohne Titel, nun ist er das Mass der Dinge im Schweizer Fussball. Wie ist diese Wandlung zu erklären? Das wichtigste Puzzleteil war die Einsetzung von Christoph Spycher als Sport-chef im Jahr 2016. Der 45-Jährige bezog in der Folge Stéphane Chapuisat eng mit ein. Zwar war der frühere Topstürmer schon seit 2010 Chefscout der Young Boys, jedoch hatte er nicht die gleich wichtige Rolle wie unter Spycher.
Die beiden hatten einen klaren Plan, bauten auf hochtalentierte Junge und ein Gerüst an erfahrenen Spielern, welche die Mannschaft führten. «Diesbezüglich stellten wir im Sommer 2017 die richtigen Weichen», sagt Spycher. So weit, so gut. Allerdings ist dies kein bahnbrechendes Erfolgsrezept. Entscheidend ist die Umsetzung.
Eine Sprache
Spycher und Chapuisat verfügen auch aufgrund ihrer Erfahrung als Spieler über ein hervorragendes Gespür, wer ins Team passt. Danach gefragt, welche Eigenschaften jemand mitbringen müsse, um verpflichtet zu werden, fällt die Antwort der beiden nahezu identisch aus. «Jeder Spieler hat das Recht auf eine individuelle Karriere», betont Spycher, «nichtsdestotrotz muss er die Bedeutung des Vereins verstehen.» Es brauche eine gute Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und ans Kollektiv zu denken.
Schon im Februar definierten die Verantwortlichen, welcher Spielertyp für die aktuelle Transferperiode gesucht wird. Die Vorauswahl erfolgt dann über Scouting-Plattformen. Bei Interesse wird der Spieler vor Ort beobachtet, und dann kommt es allenfalls zu einem Gespräch, das sowohl Spycher als auch Chapuisat als «sehr wichtig» bezeichnen.
«Den Charakter einzuschätzen, ist der schwierigste Punkt», sagt Spycher. Deshalb werden zusätzliche Informationen von Personen eingeholt, «die eine unabhängige Position gegenüber dem Spieler haben». Zur Verpflichtung kommt es nur dann, «wenn wir von ihm menschlich zu 100 Prozent überzeugt sind», erzählt Spycher.
Flache Hierarchie
Das Wir wird bei YB grossgeschrieben. War Chapuisat zu Beginn der wichtigste Mitarbeiter von Spycher, sind nun eine grösser Anzahl an Personen involviert. Spycher gab vor einem Jahr das Amt als Sportchef an Steve Von Bergen ab, ist nun VR-Delegierter Sport. Von Bergen ist ehemaliger Captain von YB und war in dieser Funktion für Spycher der «wichtigste Botschafter meiner Werte in der Garderobe » und darum eine logische Wahl. Seit 2017 ist Gérard Castella Ausbildungschef des Vereins – Chapuisat kannte ihn bestens. Die Aufzählung ist nicht vollständig. «Alle, die dazugekommen sind, leben die gleichen Werte », so Spycher. Das ist für ihn entscheidend. Zwar ist er der Hauptverantwortliche der Sportabteilung, es herrscht aber eine flache Hierarchie.
«Es ist im Entscheidungsprozess wichtig, verschiedene Meinungen anzuhören », sagt Spycher. «Wir diskutieren sehr kontrovers.» Sind nicht alle vom Gleichen überzeugt, «ist es wich-tig, den Weg zu begründen, damit intern alle vom gleichen Reden und auf die gleiche Art kommunizieren».
Ruhe als Begleiterscheinung
Auch nach der aus Berner Sicht enttäuschenden Saison 2021/22, in der lediglich der 3. Platz herausschaute, kam keine Unruhe auf. Ruhe ist für Spycher allerdings keine Voraussetzung, um erfolgreich zu sein. Das wichtigste Kriterium ist für ihn qualitativ gute Arbeit, dass alle Positionen mit den richtigen Leuten besetzt sind. «Dann ist ein ruhiges Umfeld eine positive Begleiterscheinung.» Ein weiteres Plus ist die Kontinuität. Spycher war bei Eintracht Frankfurt im Gespräch, hätte Manager der Schweizer Nationalmannschaft werden können, doch er zog es vor, bei den Bernern zu bleiben. Er ist aller-dings froh, nicht mehr Sportchef zu sein. «Die vor einem Jahr vorgenommene Strukturanpassung war dem Stress in der Transferzeit geschuldet, wir brauchten mehr Manpower», begründet Spycher.
Enorme Dynamik
Zwar habe ihm das Amt als Sportchef sehr viel Spass gemacht, die Dynamik sei jedoch extrem gewesen, sodass es ihm vielleicht eines Tages den Deckel gelupft und er den Bettel hingeschmissen hätte. «Das kann es nicht sein.» Spychers Vertrag läuft noch bis am 30.Juni 2025. Er dürfte den Bernern jedoch darüber hinaus erhalten bleiben. Sein Ziel ist es, «kurz- bis mittelfristig jüngere Leute in die Managementebene zu integrieren, damit die Geschichte von YB personenunabhängig erfolgreich weitergeht».
Zur bevorstehenden Meisterschaft sagt Spycher: «Im Fussball kann es schnell gehen. Wir müssen besser sein als vergangene Saison, wenn wir die Titel verteidigen wollen.» Chapuisat ergänzt: «Wir wissen, dass es nicht mehr reicht, wenn wir etwas nachlassen. Um Erfolg zu haben, muss man immer am Limit sein.»
In der letzten Saison hat YB mit 16 Punkten Vorsprung den fünften Meistertitel in den letzten sechs Jahren gefeiert. Die Erfolge sind eng mit den Namen Christoph Spycher und Stéphane Chapuisat verbunden.