Einbruch statt Gegenangriff
Der Kampf um den Gesamtsieg an der Tour de France ist nach der 17. Etappe wohl entschieden. Nach einem Einbruch von Tadej Pogacar ist der Vorsprung von Jonas Vingegaard auf über sieben Minuten angewachsen.
Einen Tag nach seiner schweren Niederlage im Zeitfahren erwarteten viele einen Gegenschlag von Tadej Pogacar, doch das Gegenteil traf ein. Der Slowene erlitt in der Königsetappe der Tour de France den grössten Einbruch seiner Karriere und muss alle Hoffnungen auf seinen dritten Tour-Sieg nach 2020 und 2021 begraben.
Das letzte Teilstück in den Alpen mit 5400Höhenmetern und vier Bergen begann für Pogacar schon mit einem Missgeschick. Nach 17 km stürzte der Captain des Teams UAE Emirates, zog sich blutende Wunden am lin-ken Knie und Ellenbogen zu. Zunächst schien es, als sei er davon nicht beeinträchtigt.
Pogacar: «Ich kann nicht mehr»
Doch am letzten Anstieg des Tages ging bei Pogacar gar nichts mehr. Der schwerste Abschnitt auf dem 28 km langen und bis zu 24 Prozent steilen Col de la Loze, mit 2304 Meter über Meer das Dach dieser Tour, war noch lange nicht erreicht, da funkte Pogacar seinem Sportdirektor zu: «Ich kann nicht mehr. Ich bin tot.» Sein Rivale Jonas Vingegaard beschleunigte umgehend. Bis ins Ziel auf dem Flugplatz von Courchevel nahm der Träger des Maillot jaune dem leidenden Pogacar fast sechs Minuten ab. Innerhalb von nur zwei Tagen ist aus der spannendsten Frankreich-Rundfahrt seit Jahrzehnten eine One-Man-Show des schüchternen Mannes aus Jütland geworden.
Ratlos und enttäuscht
Im Ziel zeigte sich Pogacar ratlos. «Ich weiss nicht, was passiert ist. Ich komme am Ende des letzten Anstiegs völlig ausgepumpt an. Ich habe viel gegessen, aber das ist heute nicht bis in die Beine durchgedrungen. Ich bin extrem enttäuscht, dass ich nicht so viel Druck machen konnte, wie ich wollte », analysierte Pogacar, der nun Jagd auf einen Etappensieg machen will. Die beste Gelegenheit dazu bietet sich dem 24-Jährigen nach zwei eher flachen Teilstücken am Samstag in der letzten Bergetappe dieser Tour.
Vingegaard vorsichtig
Wenn ihn nicht noch ein schlimmer Sturz vom Weg abbringt und er gesund bleibt, wird Jonas Vingegaard am Sonntag in Paris seine zweite Grande Boucle nach 2022 gewinnen. Pogacar hatte sich zwei Wochen lang dagegen aufgelehnt, musste sich aber letztlich geschlagen geben. «Ich bin natürlich sehr erleichtert. Mehr als sieben Minuten Vorsprung zu haben, ist grossartig», meinte der Däne.
Dennoch gibt er sich noch vorsichtig. «Wie ich bereits gesagt habe, sind wir noch nicht in Paris, es gibt noch einige schwierige Etappen. Wir sind noch nicht dort, ich werde mein Bestes geben. Ich glaube, dass Pogacar nie aufgibt, er wird etwas versuchen, er wird es erneut versuchen, ich muss bereit sein, um zu reagieren. Ich glaube, dass es noch einige sehr interessante Etappen gibt».
Galls Sieg
Als Tagessieger und inoffizieller «König der Alpen» liess sich in Courchevel der Österreicher Felix Gall feiern. Der 25-jährige Osttiroler, vor Monatsfrist in Leukerbad bereits Etappensieger an der Tour de Suisse, begab sich zusammen mit dem Thurgauer Stefan Küng und über 30 weiteren Fahrerin früh in eine Ausreissergruppe, die mit den Top-10-Fahrern Pello Bilbao, Simon Yates, David Gaudu und Gall selbst sehr stark besetzt war.
Als sich die Spitzengruppe im Anstieg zum gefürchteten Col de la Loze stark dezimierte, neben Küng konnte auch der Bergpreisleader Giulio Ciccone nicht mehr mithalten, setzte Gall 13 km vor dem Ziel die entscheidende Attacke und siegte solo vor Simon Yates, Bilbao und Vingegaard. Mit dem Erfolg habe er sich keinen «Kindheitstraum » erfüllt«, sagte Gall im Ziel den Tränen nahe. «Vor einem Jahr hätte ich mir das nicht vorstellen können.»