Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten
Erfahrene Fachleute Gesundheit sind gefragt. Rouassi Guehi ist eine davon und wohnt in der Region. Da sie aller-dings französischsprachig ist, arbeitet sie in der Romandie und nimmt jeden Tag mehrere Stunden Weg auf sich. Hilfe findet sie im Alters- und Pflegeheim Obigrueh in Schübelbach. Seit einiger Zeit erteilt ihr Peter Kannenberg Deutschunterricht. Dabei geht es nicht etwa um Alltagskonversation – sondern um berufsspezifische Sprachkenntnisse. Der 92-Jährige lebt in der Obigrueh und freut sich über die neue Herausforderung. Für alle Beteiligten eine Win-win-Situation. ( fko) Es gibt ein Problem – wir haben keinen Internetempfang », bemerkt Peter Kannenberg und macht sich sogleich auf, vom Kafistübli im Alters- und Pflegeheim Obigrueh in Schübelbach in den Wintergarten umzuziehen. Denn der 92-jährige Bewohner ist an diesem Montagmorgen in die Rolle des Deutschlehrers geschlüpft. Und dafür braucht er für sein Tablet eine einwandfreie W-LAN-Verbindung.
Seine Schülerin ist seit einiger Zeit Rouassi Guehi, Fachfrau Gesundheit EFZ (FaGe), französischsprachig und derzeit in der Obigrueh in einem kleinen Pensum als Praktikantin beschäftigt – nicht etwa, weil es ihr an Erfahrung mangelt, sondern wegen der fehlenden Deutschkenntnisse in Bezug auf ihre tägliche Arbeit.
Quer durch die Schweiz pendeln
Derzeit wohnt Rouassi Guehi mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Galgenen, arbeitet aber in einer Institution für Menschen mit Autismus in der Nähe von Lausanne. Dabei pendelt sie jeden Tag insgesamt rund sieben Stunden mit der Bahn. «Natürlich ist es anstrengend, aber man gewöhnt sich daran», erklärt die 38-Jährige. Sie übernehme ausschliesslich Nachtschichten und schlafe im Zug.
Sie stammt ursprünglich aus der Republik Côte d’Ivoire, der Elfenbeinküste, flüchtete vor dem Bürgerkrieg und landete 2014 im Kanton Waadt. Zwei Jahre später nahm sie eine Lehre als Fachfrau Gesundheit in einem Altersund Pflegeheim in Angriff und schloss diese 2019 erfolgreich ab.
«In meinem ursprünglichen Heimatland war ich Fischverkäuferin», erzählt sie lachend. «Ich hatte also keinen Bezug zum Gesundheitswesen.» Sie sei sehr dankbar für die Chance, hier einen spannenden Beruf zu erlernen und sich ein neues Leben aufbauen zu können.
Als sie ihren jetzigen Ehemann kennenlernte, war klar, dass sie nach Ausser schwyz ziehen würde. «Er stammt aus der Region und arbeitet hier als Landschaftsgärtner», so Rouassi Guehi.
Hilfe von der Obigrueh
Damit stellte sich für sie aber die Frage nach ihrer beruflichen Zukunft. Da bei der Arbeit in Alters- und Pflegeinstitutionen persönliche Kontakte und auch der kommunikative Austausch im Zentrum stehen, stellten die mangelnden Deutschkenntnisse ein Hindernis dar. Hilfe fand sie in der Obigrueh. «Die Heimleiterin Corinne Heck schlug mir eine Lösung vor und fragte Peter Kannenberg an, ob er bereit wäre, mir Unterricht zu geben», erzählt sie.
«Es ist eine Win-win-Situation», fügt Corinne Heck an. Aktivierung im Alltag werde in der Obigrueh grossgeschrieben. Sie hätten dafür aber keine spezialisierte Fachperson angestellt. «Wir versuchen die Menschen gemäss ihrer Fähigkeiten, Interessen und ihrer Lebensgeschichte in den Betrieb einzubinden», so Heck. Auch die Integration von Fremdsprachigen sei ihnen ein Anliegen. «Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssen wir neue, kreative Wege gehen», betont die Heimleiterin.
Peter Kannenberg war von der Idee begeistert und somit konnte es losgehen. Lehrer sei er zwar früher nicht gewesen. «Ich war als Industriekaufmann tätig», fügt der ursprünglich aus Deutschland stammende Pensionär an. «Meine Frau war Oberstudienrätin und arbeitete an einer berufsbildenden Schule.» Da sie sich oft über ihre beruflichen Tätigkeiten ausgetauscht hätten, habe er einige pädagogische Kniffe mitbekommen.
Den Unterricht gestaltet Peter Kannenberg mit Hilfe des Übersetzungs programms «deepl», denn er selbst spricht kein Französisch. «Am Anfang haben wir es noch mit einem Simultan-Übersetzungsprogramm versucht », erklärt er mit einem Schmunzeln. Dies habe nicht besonders gut funktioniert.
Pflegespezifische Situationen
Nach einer kurzen Rekapitulation wird gleich das Lehrbuch geöffnet. Dieses enthält spezifische Begriffe und Phrasen aus dem Bereich Pflege – übersetzt in vier Sprachen. Das Buch hat Kannenberg im Internet gefunden, gleich bestellt und Rouassi Guehi geschenkt. Diese freut sich sichtlich und hat bereits Fragen und Unklarheiten darin markiert. Denn eines wird klar an jenem Montagvormittag: Es geht nicht um Alltagskonversation. Diese beherrscht die Ivorerin bereits. Satz für Satz gehen Kannenberg und Guehi mögliche Situationen im Pflegealltag durch. «Ich bin vor allem auch für die richtige Aussprache zuständig», betont er. Diese sei essentiell, damit Rouassi Guehi auch verstanden wird. Diese ist hochkonzentriert bei der Sache, macht sich zwischendurch Notizen.
Aus Rouassi wird Rosi
Dabei zeigt sich: Der Alltag hat durchaus seine Tücken. Zum Beispiel das Thema Vorstellung. Die meisten der Bewohnenden sprechen die FaGe jeweils mit dem Vornamen an und siezen sie. Peter Kannenberg schlägt vor, dass Rouassi Guehi sich mit «Rosi » vorstellen soll. «Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind», betont er. Denn für Menschen aus der Region klinge der Name Rouassi ungewohnt. Da die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Obigrueh und in anderen Alters- und Pflegeinstitutionen hochbetagt seien, könne dies in einigen Fällen zu Unsicherheiten führen – gerade bei Menschen mit einer Demenzerkrankung. «Rosi» hingegen klinge vertraut und sei einfach zu mer-ken. Der Ivorerin gefällt die Idee. Denn, was die Kommunikation vereinfacht, ist ihr willkommen.
Herausforderung mit Vergnügen
Weiter geht es mit Themen wie Schlafschwierigkeiten, Schmerzskala, allgemeines Unwohlsein. Kannenberg und Guehi sind bemüht, möglichst klare Formulierungen zu finden, auf Nuancen einzugehen und mögliche Bedürfnisse der Heimbewohnenden vorwegzunehmen. Gemeinsam umschiffen sie Untiefen der deutschen Sprache wie die Deklination – die Sprecherinnen und Sprechern latinischer Sprachen oftmals unlogisch erscheint.
Flink fliegen Peter Kannenbergs Finger über die Tastatur seines Tablets – die Herausforderungen des Unterrichts bereiten ihm sichtlich Spass, bei aller Ernsthaftigkeit. «Das hält meinen Kopf in Schuss», erklärt er vergnügt. Beide freuen sich bereits auf ihre nächste Unterrichtsstunde am Freitag.
Rouassi Guehi ist Fachfrau Gesundheit und französischsprachig. Sie wohnt in Galgenen, arbeitet aber in der Romandie. Damit sie in der Region beruflich Fuss fassen kann, bringt ihr ein Bewohner der Obigrueh Deutsch bei.
«Natürlich ist das Pendeln anstrengend, aber man gewöhnt sich daran.»
Rouassi Guehi
Fachfrau Gesundheit EFZ
«Ich bin vor allem auch für die richtige Aussprache zuständig.»
Peter Kannenberg
Bewohner der Obigrueh
«Um dem Fachkräfte mangel zu begegnen, müssen wir neue, kreative Wege gehen.»
Corinne Heck
Heimleiterin Obigrueh