Von Stufe 2 auf Stufe 1 in zwölf Monaten
Vor dem Eidgenössischen Fest 2022 in Pratteln war Fabian Staudenmann einer von mehreren Favoriten. Vor dem Unspunnen-Schwinget vom Sonntag ist der 23-jährige Berner der oberste Favorit.
Der markante Aufstieg innerhalb von zwölf Monaten lässt sich an den Ziffern 2 und 1 aufzeigen. Von acht von neun Kranzfesten der Saison 2022 kehrte er als Zweiter heim, aber nie als Festsieger. In der zu Ende gehenden Saison dagegen siegte er an sieben von neun Kranzfesten, womit er um ein Haar den Rekord von acht Siegen egalisierte, den Karl Meli in den Sechzigerjahren aufgestellt und Jörg Abderhalden 2004 egalisiert hatte.
Als Seriensieger und einziger in der laufenden Saison unbesiegter Spitzenschwinger hat sich Fabian Staudenmann wie von selbst in die Rolle des obersten Favoriten für Unspunnen gehoben. Noch deutlicher ist Staudenmanns Steigerung im Vergleich zur Saison 2021 – obwohl er damals zusammen mit Samuel Giger und Damian Ott den Kilchberger Schwinget für sich entschied.
Was hat diese Leistungsentwicklung in relativ kurzer Zeit möglich gemacht? Dass ein Schwinger zwischen dem 22. und dem 23. Lebensjahr grosse Fortschritte machen kann, weiss man aus Erfahrung. Aber als einzige Erklärung kann dies nicht herhalten. Eine andere Erklärung ist die Tatsache, dass die Berner Schwinger auch über die Grenzen der sechs Gauverbände – die Gauverbände entsprechen den Kantonalverbänden der übrigen vier eidgenössischen Teilverbände – zueinander schauen. Fabian ist Kunde und Schützling des Berner Oberländers Matthias Glarner. Als Sportwissenschaftler, Sportlehrer und Schwingerkönig ist Glarner wie kaum ein anderer prädestiniert, junge Schwinger auf einen richtigen und erfolgreichen Weg zu bringen. Staudenmann verbringt nicht wenig Zeit beim Meiringer Glarner in Wilderswil, um sich athletisch und mental weiterzubringen.
Topklub Schwarzenburg
Ein weiterer förderlicher Faktor ist die Klubzugehörigkeit. Ungefähr auf halbem Weg zwischen Guggisberg – Staudenmann kommt aus einer Grossfamilie aus diesem Örtchen auf 1100 Metern über Meer – und Bern, wo er mit seiner Freundin lebt, liegt Schwarzenburg. Im dortigen Klub findet er Bedingungen vor, wie sie derzeit sonst wohl nur der Thurgauer Klub Ottenberg – mit Samuel Giger und den Brüdern Domenic und Mario Schneider – bieten kann. In Schwarzenburg tummeln sich nebst Staudenmann die weiteren grossgewachsenen Eidgenossen Michael Ledermann und Pirmin Schwander, aber auch Lorenz Berger, der in Pratteln 2022 Damian Ott bodigte und den Kranz nur knapp verpasste. In Schwarzenburg kann sich jeder dank den andern weiterbringen. Aber alle diese äusseren Vorteile würden nicht viel nützen, wenn Staudenmann nicht einen grossen inneren Antrieb mitbrächte.
Fabian Staudenmann gehört einem Zirkel von Mittelländer Eidgenossen an, die – für den Schwingsport nicht gerade typisch – eine akademische Laufbahn einschlagen werden oder schon eingeschlagen haben. Michael Wiget studiert Rechtswissenschaften, Adrian Walther zieht es in Richtung Architektur, und Fabian Staudenmann will seine bestandene Berufsmatura dafür nutzen, Mathematiker zu werden. Als Akademiker war seinerzeit schon der zweifache Schwingerkönig Ernst Schläpfer eine der Ausnahmen im Schwingsport gewesen.
Revival von Hunspergers Zeiten
Man muss in die Zeiten von Ruedi Hunsperger selig zurückschauen, um eine grössere Ansammlung von bösen Berner Mittelländern zu findet. Hunsperger gewann 1974 in Schwyz seinen dritten von drei Königstiteln im Schlussgang gegen seinen Mittelländer Kameraden Fritz Uhlmann vom Schwingklub Worblental in Boll-Sinneringen. Ein renommierter Mittelländer war später auch Willy Graber, Bodenspezialist und fünffacher Eidgenosse mit stechend blauen Augen. Auch er wirkte im Worblentaler Klub – und tut es als Förderer von Adrian Walther noch immer.