Grosses Saisonfazit: Giger, Wicki und Staudenmann stehen über allen andern
Wenn es um die höchsten Ehren geht, kommen keine zwei Handvoll Schwinger in Frage, die Ehren auf ihre Seite zu bringen. Das zeigt der Unspunnen-Schwinget in Interlaken in aller Deutlichkeit.
Nach der Kranzfestsaison 2023 und dem Unspunnen-Schwinget lässt sich die Leistungsfähigkeit der Zwilchhosen-Gladiatoren einigermassen schlüssig beurteilen. Fabian Staudenmann, Unspunnen-Sieger Samuel Giger und Schwingerkönig Joel Wicki, der wegen einer Ellbogenverletzung in Interlaken nicht mittun konnte, stehen ungefähr auf einer Linie und über allen andern. Es folgen Pirmin Reichmuth, Armon Orlik und Matthias Aeschbacher, ein bisschen weiter zurück Adrian Walther, Werner Schlegel und Damian Ott.
Die allermeisten dieser Topschwinger bis auf Damian Ott mussten in Interlaken nur in Duellen unter sich selbst Niederlagen oder Gestellte hinnehmen. Von weiter unten wurden sie kaum gefordert. Die Ausnahme war Damian Ott. Der lange St. Galler ist noch einiges von seiner besten Form entfernt, die er in der Saison 2021 unter anderem als Co-Sieger des Kilchberger Fests ausgespielt hatte. Ott verlor gegen Curdin Orlik und remisierte mit Matthieu Burger und Lars Zaugg.
Wohl eher ein Missgeschick war Pirmin Reichmuths Niederlage im dritten Gang gegen den Freiburger Eidgenossen Benjamin Gapany. Aber insgesamt bilden die besten neun Schwinger aus den grössten drei Teilverbänden Nordostschweiz, Innerschweiz und Bern eine starke Phalanx, die nur ausnahmsweise gegen andere Schwinger nicht standhält.
Die Defizite der Youngsters
Vielleicht wird am Eidgenössischen Fest 2025 im Glarnerland alles ganz anders aussehen. Die Momentaufnahme zeigt allerdings, dass es keinen einzigen Teenager gibt, der die Etablierten ernsthaft herausfordern könnte, schon gar nicht über die Dauer eines Fests von sechs beziehungsweise acht Gängen. Beispiele dieser «Next-Gen»-Schwinger sind Michael Moser und Sinisha Lüscher, Träger der unverschämten Jahrgänge 2005 respektive 2006.
Der Emmentaler Michael Moser hat eine königliche Grösse von 193 cm. Aber er ist noch zu leicht. Seine Technik ist nicht fertig entwickelt, und er ist bei harten Attacken von Bösen anfällig. Die Einteilungskampfrichter der Feste erkennen jedoch Mosers Potential. Sie teilen ihn bisweilen schon fast wie einen Eidgenossen ein. Kaum hatte er am Unspunnen-Schwinget den 1. Gang gegen den aufstrebenden Zuger Noe van Messel gewonnen, wurde er für das Duell mit dem seinerseits jungen, aber dennoch drei Jahre älteren St. Galler Eidgenossen und Spitzenschwinger Werner Schlegel auf dem Fernsehplatz aufgerufen. Später tauchten auch die renommierten Schwergewichte Samir Leuppi und Mario Schneider auf Mosers Notenblatt auf.
Der für den Solothurner Verband schwingende Aargauer Sinisha Lüscher ist in der technischen Entwicklung und der technischen Versiertheit möglicherweise ein bisschen weiter als Michael Moser. Aber es fragt sich, wie er in Zukunft seine bescheidene Grösse von 180 cm wird kompensieren können. Er wird wohl ähnliche Fähigkeiten – Kraft, Schnellkraft, Explosivität, Kompaktheit – wie Joel Wicki entwickeln müssen, um Chancen auf ganz grosse Festsiege haben zu können.
Vorbild Joel Wicki
Weitere Teenager mit günstigen Aussichten sind die im November 2004 geborenen Erlinsbacher Zwillinge Jan und Tim Roth vom Schwingklub Aarau. In zwei Jahren wird man sehen, ob die Moser, Lüscher und Roth die ganz Bösen werden plagen können. Joel Wicki absolvierte als 16-Jähriger 2013 alle acht Gänge des Eidgenössischen Fests in Burgdorf, von der Spitze war er gleichwohl noch weit entfernt. Nur drei Jahre später hätte er in Estavayer zu den ersten Anwärtern auf den Königstitel gehört. Aber er war verletzt und musste passen.