«Einsame Begräbnisse» ist Dichtung in einem sozialen Dienst
«Das einsame Begräbnis» heisst ein Projekt, das einsam Verstorbene auf ihrem letzten Gang begleitet. Jetzt versammelt ein Buch lyrische Nachrufe auf diese Menschen, verfasst von namhaften Dichterinnen und Dichtern.
Jedes Jahr sterben in der Stadt Zürich Menschen ohne Angehörige und Freunde, die sich um ihren Tod bekümmern. Auf sie wartet «der Züri-Sarg, die Kremation und die Urne aus löslichem Ton», so der Dichter Gerhard Meister. Mit einem schlichten Begräbnis, das einmal im Jahr stattfindet, werden diese Menschen beerdigt. Dabei werden die einsam Verstorbenen von einem Dichter oder einer Dichterin «vom Dienst» begleitet und mit einem Gedicht in Würde verabschiedet.
Ein Gedicht zum Abschied
Das Projekt «Das einsame Begräbnis» schickt die Lyrik in den Sozialeinsatz. Mittlerweile 44 Mal haben Dichterinnen und Dichter in den letzten sechs Jahren einen solchen poetischen Nachruf verfasst. Das Projekt wurde 2001 im niederländischen Groningen begründet und vom Dichter Bart FM Droog umgesetzt. Seither haben mehrere holländische und belgische Städte die Idee aufgenommen. 2017 ist Zürich hinzugekommen. Die Initiative dazu hat die Dichterin Melanie Katz ergriffen.
37 Nachrufe finden sich nun in einem Buch mit dem Titel «Die einsamen Begräbnisse» dokumentiert; essayistische Texte in denen über Einsamkeit, Tod und Bestattung nachgedacht wird, vertiefen die Lyrik für die einzelnen einsam Verstorbenen. «Jeder Tod wischt etwas von der Erde, das nicht zu ersetzen ist», schreibt der englische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton in seinem Beitrag. Solches zu ersetzen vermag auch die Poesie nicht, aber sie kann die Erinnerung hochhalten, indem sie aufhebt, was ungesagt, unsichtbar oder einfach übersehen worden ist.
Kultur des Abschieds
Das von Melanie Katz herausgegebene Buch umfasst ganz unterschiedliche Gedichte, teils flüchtige Zeilen über Personen, von denen kaum etwas bekannt war, teils lebhafte Anekdoten, wenn sich vielleicht doch eine Nachbarin fand, die etwas zu berichten wusste. Hin und wieder mussten die Schreibenden auch ihre dichterische Freiheit aufbieten, um «die kleinen schwarzen Löcher» (Nathalie Schmid) in einem Leben zu füllen. Diese Löcher sind der Preis der Einsamkeit.
Die Gedichte werden im Regelfall von einem Bericht begleitet, der festhält, wie die Dichterinnen und Dichter nach spärlichen Informationen über die Verstorbenen forschten, indem sie an Türen klingelten und Nachbarn ansprachen. In vielen Fällen erwies sich dies als ein schwieriges Unterfangen.
Nicht zuletzt deshalb fragt Ulrike Ulrich, für wen sie ihren Text eigentlich schreibe, «wem er vielleicht Trost gibt und Würde». Ist es wirklich der Verstorbene, der angesprochen wird, oder vielleicht die Autorin selbst? Wie immer die Antwort ausfällt, das «einsame Begräbnis» bewahrt vor allem eine Kultur des Abschieds. Es bedeutet, was Melanie Katz «ein Gedenken setzen» nennt, es ist «ein politischer Akt – oder zumindest der Versuch gelebter Solidarität».*
*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert