«Staatsfeind» ganz privat: Briefe von Gangster Mesrine versteigert
Sie galten als französische Bonnie und Clyde. Er ist bis heute eine Verbrecherlegende und gemeinhin als «Staatsfeind Nummer 1» bekannt. Wie der einst gefürchtete Gangster Jacques Mesrine ganz privat tickte, davon geben Hunderte Briefe an seine frühere Gefährtin und Komplizin Jeanne Schneider einen Einblick, die ab Donnerstag in Paris ausgestellt werden und am 23. November unter den Hammer kommen. «Hallo, mein Herz» oder «Guten Abend, mein Engel» - so beginnt Mesrine seine Nachrichten aus dem Gefängnis heraus. Das sind ungewohnte Worte von einem der grössten Verbrecher Frankreichs.
«Der Mann mit den tausend Gesichtern», wie Mesrine auch bezeichnet wurde, ist 1936 in einem Pariser Vorort in eine gutbürgerliche Familie geboren worden. Als junger Mann meldete er sich als Soldat für den Algerien-Krieg, nach seiner Rückkehr 1959 begann er seine Verbrecherkarriere. Entführungen, Erpressungen, Morde und immer wieder Banküberfälle – Mesrine machte sich als gewiefter Gangster schnell einen Namen, trieb in Frankreich, Spanien und Kanada sein Unwesen und entkam dabei immer wieder Polizei und Justiz. Nicht zuletzt bei mehreren Gefängnisausbrüchen.
Kommissar Jo Querry bezeichnete Mesrine in der Zeitung «Le Parisien» als «Killer, der kein Gewissen hatte». Gleichzeitig übte der Kriminelle in den 1960er und 1970er Jahre auf einige Menschen eine unglaubliche Anziehungskraft aus. «Er vereint in einer Person die Ängste und Hoffnungen einer Epoche», resümierte der «Parisien» jüngst. Mesrine wurde teils als Robin Hood heroisiert. Obwohl er sich selbst «Le Grand», also «der Grosse», bezeichnete und teils als grössenwahnsinnig und selbstzufrieden eingeschätzt wurde, gefiel ihm der Vergleich nicht. «Es gibt keine Helden in der Kriminalität. Es gibt nur Männer, die Aussenseiter sind und die Gesetze nicht akzeptieren», stellte er einmal klar.
Am meisten Aufsehen erregte Mesrine, der nach seinen Eskapaden in Kanada Anfang der 1970er Jahre nach Frankreich zurückkehrte, wenig später dort verhaftet und zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, mit seinem spektakulären Gefängnisausbruch im Mai 1978, auf den ein fast anderthalbjähriges Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei folgte. Statt sich bedeckt zu halten, überfiel Mesrine ein Casino und entführte einen Milliardär. Mit Briefen an Zeitungen und Pressegesprächen hielt er die Staatsgewalt zum Narren, die ihn nicht zu fassen bekam.
Am 2. November 1979 folgte dann der Showdown: Mesrine starb in seinem Wagen im Kugelhagel der Polizei, die vermutete, der Gangster sei beim Aufeinandertreffen mit den Beamten bereit, nach Granaten oder einer Waffe zu greifen.
Vor seinem Ausbruch schrieb Mesrine jahrelang Briefe an seine Freundin Jeanne – täglich oder jeden zweiten, dritten Tag, wie Pauline Ribeyre vom Pariser Auktionshaus Baron Ribeyre & Associés der Deutschen Presse-Agentur erzählte. Etwa 400 Briefe hatte Jeanne in einem Koffer aufbewahrt – zusammen mit Artikeln, Fotos und Büchern. Der Grossteil der Korrespondenzen wird Ende November in Paris und online versteigert, zumeist in kleinen Bündeln. Manche sind schon für rund 50 Euro zu haben. Insgesamt erhofft sich das Auktionshaus etwa 30 000 Euro Einnahmen.
«Was bei den Briefen interessant ist: die andere Seite Mesrines zu sehen», sagte Ribeyre. Man habe das Gefühl, in seine Welt einzutauchen. Er habe sehr poetisch geschrieben, aber auch sehr frauenfeindlich, versah seine Briefe mit Zeichnungen und war kreativ.
Im Stil eines Arztberichtes etwa diagnostizierte Mesrine bei sich, nach seiner Geliebten verrückt zu sein. Er habe «Janoumanie», sein Herz schlage in «Je t’aime», der Name «Janou» sei dort eingraviert. In einem anderen Brief schrieb er: «Wenn deine Lippen Blumen wären, stellte ich mich als Schmetterling vor», um später nachzulegen: «Die Blume ist nicht ewig, der Schmetterling kann davonfliegen.» Mesrine zeichnete mit «Dein Schrecklicher» oder «Meine Wenigkeit».
Jeanne Schneiders Antworten sind in der Briefsammlung nicht enthalten. «Das ist ein bisschen frustrierend», sagte Ribeyre. Dass sie Mesrine «leidenschaftlich geliebt» und gelernt habe, «dieses zugleich zärtliche und gewalttätige Wesen zu schätzen», verriet Schneider, die als Mesrines Komplizin selbst auch in Gefängnis eine Haftstrafe sass, jedoch in ihrem 1980 veröffentlichten Buch.
Auch Mesrine äusserte sich nicht nur in Korrespondenzen. Er schrieb zudem zwei Bücher, sprach mehrfach mit der Presse. Ribeyre sagt über die Briefe, die neben Persönlichem auch politische Töne enthalten: «Im Kleinen bleibt das ein Relikt Frankreichs.» Mesrine sei ein «Bandit mit Ehrenkodex» gewesen. Auch 40 Jahre nach seinem Tod übt der Kriminelle in Frankreich eine gewisse Faszination aus.