Warten auf den Vulkanausbruch: Erdbeben schüren Furcht auf Island
Mitten in der Stadt Grindavík? Oder doch wieder in unbewohntem Gebiet? Vielleicht sogar im Meer mit einer gewaltigen Aschesäule? Wo genau der nächste Vulkanausbruch auf Island zu erwarten ist, können Experten nicht sagen. Doch angesichts Tausender Erdbeben in den vergangenen Tagen sind sich viele Wissenschaftler sicher, dass eine Eruption bevorsteht. Es dauere höchstens nur noch ein paar Tage, heisst es auf Island.
Alle Augen richten sich auf Grindavík, rund 40 Kilometer Luftlinie südwestlich der Hauptstadt Reykjavik. Die Stadt mit etwa 3700 Einwohnern war bereits in der Nacht zum Samstag evakuiert worden.
Unter dem Ort auf der Reykjanes-Halbinsel, auf der es bereits drei Jahre in Folge zu Vulkanausbrüchen kam, verläuft ein rund 15 Kilometer langer Magma-Tunnel von Nordosten nach Südwesten ins Meer. Die jüngsten Eruptionen, zuletzt im Juli, trafen stets unbewohntes Gebiet, entsprechend gering war die Aufregung der an Vulkane gewöhnten Isländer. Insgesamt gibt es mehr als 30 aktive Vulkane auf der Nordatlantik-Insel.
Doch diesmal ist die Situation gefährlicher. «Unter Berücksichtigung, wie schnell sich die Magma in diesem Kanal gesammelt hat, können wir erwarten, dass die Eruption viel gewaltiger sein wird als die vorigen drei», sagte der Geophysiker Magnús Tumi Gudmundsson dem Sender RUV. Vulkanologen wiesen daraufhin, dass die Erdbeben der vergangenen Jahre die Erdkruste so stark gebrochen habe, dass das Magma seinen Weg schneller hindurch finden könne. Der neue Zyklus erhöhter Aktivität könne mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte andauern.
Gudmundsson äusserte sich am Sonntag zurückhaltender. Der Magma-Zufluss habe nachgelassen. Es bestehe Hoffnung, dass eine Eruption ähnlich wie die in den vergangenen Jahren verlaufen werde.
Laut jüngster Behördenangaben befindet sich die Magma nur noch in 800 Metern Tiefe. Wissenschaftler betonten, die Originaldaten seien vermutlich mittlerweile überholt und die Aktivität noch näher an der Oberfläche.
Allein am Sonntag wurden seit Mitternacht bereits mehr als 1000 Erdbeben in der Region gezählt. Eine Erschütterung um kurz nach 8.00 Uhr (Ortszeit, 9.00 Uhr MEZ) hatte demnach die Stärke 3,7 – es war das einzige Erdbeben mit mehr als 3,0 seit dem frühen Samstagabend. Die meiste Aktivität wurde nordöstlich von Grindavík registriert.
Hunderte Erdbeben haben bereits schwere Schäden in dem Ort verursacht. Auf Fotos waren zu sehen, dass sich Risse in Strassen und Häusern gebildet hatten. Der Boden war eingesunken und an mehreren Stellen meterbreit aufgebrochen.
In der Nähe von Grindavík liegt die Blaue Lagune. Die wohl bekannteste Touristenattraktion auf der Insel im Nordatlantik war bereits vor Tagen vorsichtshalber geschlossen worden. Mit Sorge blicken Experten auf das angrenzende Geothermiekraftwerk Svartsengi, das Wasser und Strom für die 30 000 Einwohner der Reykjaves-Halbinsel liefert. Der Luftverkehr war aber zunächst nicht beeinflusst.
Das könnte sich aber ändern, falls die Eruption unter Wasser erfolgt. Dann würde sich vermutlich eine Aschesäule bilden. Ein solches Szenario weckt Erinnerungen an das Frühjahr 2010: Damals hatte der Ausbruch des Vulkangletschers Eyjafjallajökull den internationalen Flugverkehr über Tage ins Chaos gestürzt. Mehr als 100 000 Flüge wurden gestrichen, zahlreiche Passagiere sassen teils tagelang fest.
Das Land der Gletscher, Vulkane und Geysire liegt auf der Naht zwischen nordamerikanischer und eurasischer Platte. Deshalb kommt es auf der Insel mit insgesamt knapp 390 000 Einwohnern häufig zu seismischer Aktivität. Vulkanausbrüche mit spektakulären Bildern locken auch immer wieder Schaulustige und Touristen an.
Bei einer Kabinettsitzung wollte die Regierung am Sonntag über Schutzmassnahmen vor allem für das Geothermiekraftwerk diskutieren. Präsident Gudni Th. Jóhanesson rief die Bevölkerung am Samstag zur Einheit auf. «Island ist ein kleines Land», sagte er. Dies könne aber durchaus nützlich sein. «Wir können unsere Kleinheit in Stärke verwandeln. Manchmal sind wir wie eine kleine Familie.»