Pakistan nach Parlamentswahl vor schwieriger Regierungsbildung
In der Atommacht Pakistan zeichnet sich nach der Parlamentswahl eine schwierige Regierungsbildung ab.
Nach Auszählung von rund 80 Prozent der Wahlkreise lag am Freitagnachmittag das Lager der unabhängigen Kandidaten mit gut 40 Prozent der Parlamentssitze völlig überraschend vorn, wie aus vorläufigen Ergebnissen der Wahlkommission vom Freitag hervorging. Laut der pakistanischen Zeitung «The Express Tribune» handelte es sich bei den Unabhängigen mehrheitlich um Kandidaten mit Verbindungen zum inhaftierten Ex-Premier Imran Khan und dessen Oppositionspartei PTI.
Auf dem zweiten Platz folgte die PML-N des erst kürzlich aus dem Exil zurückgekehrten dreifachen Ex-Premiers Nawaz Sharif, den viele als klaren Favoriten gesehen hatten, mit etwa 28 Prozent der Sitze der Nationalversammlung. Die Website der Wahlkommission war am Freitag über mehrere Stunden nicht erreichbar.
Der Erfolg von den der PTI zugerechneten Kandidaten kam derart unerwartet, da Pakistans Justiz die Oppositionspartei vor der Wahl weitgehend gelähmt hatte. Mitglieder der PTI durften nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs nur als unabhängige Kandidaten antreten, auch ihr Wahlkampf wurde massiv eingeschränkt. Khans Parteigänger mussten sich am Ende damit behelfen, dass sie Wahlkampfreden des im Hochsicherheitsgefängnis sitzenden Parteiführers Khan mithilfe künstlicher Intelligenz erstellten. Khan, von 2018 bis zu einem Misstrauensvotum im Frühjahr 2022 Premierminister, wurde unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Er selbst sieht die Verfahren als politisch motiviert an, um ihn von der Macht fernzuhalten.
Sharifs Partei hatte sich am Tag der Wahl noch siegessicher gezeigt und auf eine absolute Mehrheit gehofft. Beobachtern zufolge war die PML-N Wahlfavorit der einflussreichen Generäle. In dem Land wird dem mächtigen Militär nachgesagt, immer wieder Einfluss auf Wahlen und Regierungen zu nehmen. Sharifs Partei wollte noch am Freitag Gespräche mit anderen Parteien aufnehmen. «Ich lade alle Verbündeten ein, sich uns anzuschliessen, um Pakistan aus dem derzeitigen wirtschaftlichen Schlamassel zu befreien», sagte der 74-Jährige bei einer Rede in seiner Heimatstadt Lahore.
Zuletzt hatte Sharifs Partei in einer breiten Regierungskoalition den Premier gestellt. Dazu gehörte auch die Volkspartei PPP, die nach den Teilergebnissen mit knapp 23 Prozent der Sitze auf dem dritten Platz landete. Ihr 35-jähriger Spitzenkandidat und Kurzzeit-Aussenminister Bilawal Bhutto Zardari hat zwar Regierungsambitionen, schloss aber am Abend vor der Wahl eine erneute Zusammenarbeit mit der Partei von Sharif zunächst aus.
Die PML-N und PPP dürften um die Gunst der unabhängigen Kandidaten werben, um eine Mehrheit zu finden. Beobachter gingen nicht davon aus, dass die PTI-nahen Unabhängigen im Parlament zusammenarbeiten. Viel eher würden viele in das Lager wechseln, das die besten Aussichten auf Regierungsbeteiligung habe. In Pakistan ist das nicht ungewöhnlich – immer wieder haben Politiker in der Vergangenheit auch ihre Loyalitäten gewechselt.
Pakistans Nationalversammlung hat 336 Sitze, von denen 266 direkt gewählt werden. Weitere 60 Sitze sind für Frauen und 10 für Nichtmuslime reserviert, die entsprechend der Stärke der einzelnen Parteien besetzt werden. Durch die zusätzlichen Sitze dürften die grossen etablierten Parteien ihr Gewicht im Parlament im Vergleich zu den Unabhängigen ohnehin noch ausbauen. Unabhängige Kandidaten haben 72 Stunden nach der Wahl Zeit, sich anderen Parteien anzuschliessen oder eigene Fraktionen zu gründen.
Wahl überschattet von Internetsperren und Manipulationsvorwürfen
Bereits Wochen vor der Wahl prangerten Politikexperten und Menschenrechtler wegen des harten Vorgehens gegen die Opposition unfaire Wahlbedingungen an. Aufgrund von Internetsperren am Wahltag und massiven Verzögerungen bei der Auszählung der Stimmen klagte die PTI über Manipulation. Das Innenministerium hatte die Abschaltung der mobilen Netze mit der angeblichen Sicherheit für die Wählerinnen und Wähler begründet.
Nächste Regierung steht vor grossen Herausforderungen
Auf die neue Regierung wartet eine lange Liste an Herausforderungen. Terroranschläge, eine marode Wirtschaft mit hoher Inflation von fast 30 Prozent und die Folgen des Klimawandels. Auch die Weltbank bremste jüngst Erwartungen für die Wirtschaft des Landes mit 240 Millionen Einwohnern, die in den vergangenen Jahrzehnten einen Aufschwung erlebte, nach der Corona-Pandemie und den verheerenden Fluten im Sommer 2022 aber nur noch minimales Wachstum verzeichnete. Das Land leidet unter hoher sozialer Ungerechtigkeit und religiösem Extremismus. Die Bevölkerung ist angesichts der Machtkämpfe der politischen Führung weitgehend desillusioniert.
Sharif hatte im Wahlkampf vor allem auf populistische Positionen gesetzt. Der Geschäftsmann versprach etwa, die Wirtschaft anzukurbeln, Strompreise zu senken und zehn Millionen Jobs innerhalb von fünf Jahren zu schaffen. Bhutto Zardari hatte sowohl den inhaftierten Khan, als auch Sharif scharf angegriffen. Die Partei machte die schwere Wirtschaftskrise zum Wahlkampfthema und versprach, politische Gefangene freilassen zu wollen. Auch der Klimawandel war ein Thema der Partei. Die Provinz Sindh, eine Hochburg der PPP im Süden, war 2022 besonders von der Flutkatastrophe betroffen.
Angespannte Sicherheitslage – Spannungen mit Nachbarländern
In der Aussenpolitik dürfte die nächste Regierung auch die Beziehung zu den Taliban, den neuen Machthabern im Nachbarland Afghanistan, beschäftigen. Seit einigen Jahren erstarken wieder militante Gruppen, allen voran die pakistanischen Taliban (TTP), die trotz ideologischer Nähe unabhängig von den Herrschern im Nachbarland agieren. Auch die Beziehung zum Rivalen Indien ist angespannt. Mit einem Multi-Milliarden-Wirtschaftskorridor ist das südasiatische Land in eine tiefe Abhängigkeit zu China gerutscht.
Der Südasien-Experte Michael Kugelman sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass Pakistans wichtigste Partner und Geber in den bilateralen Beziehungen mit Islamabad auch weiter auf das Militär setzen würden, das sie als einen wichtigen Gesprächspartner betrachten. «Es spielt keine Rolle, wer die Wahl gewinnt».