Plan B für US-Wahl: Was wäre, wenn Biden oder Trump ausfallen?
Es ist eine unerhörte Frage. Und normalerweise eine rein hypothetische: Was passiert, wenn der US-Präsidentschaftskandidat der Demokraten oder der Republikaner in letzter Minute ausfällt? Weil er schwer erkrankt, plötzlich stirbt, weil schwere familiäre Probleme auftauchen - oder gar, weil der Anwärter fürs Weisse Haus ins Gefängnis muss.
In diesem Wahljahr in den USA ist nichts normal, und solche wild anmutenden Fragestellungen sind auf einmal gar nicht mehr so hypothetisch.
Das Rennen um das Weisse Haus liefern sich die beiden ältesten Präsidentschaftsanwärter aller Zeiten: Joe Biden ist 81 Jahre alt, Donald Trump ist 77 und wird vor der Wahl noch 78. Umfragen zufolge haben grosse Teile der Bevölkerung Bedenken wegen des hohen Alters der Kontrahenten – wiederkehrende Versprecher, Aussetzer oder Fauxpas von beiden befeuern das. Der demokratische Amtsinhaber Biden hat mit miesen Zustimmungswerten zu kämpfen, was Parteikollegen besorgt. Sein republikanischer Herausforderer Trump wiederum ist als erster Ex-Präsident der US-Geschichte gleich mit vier Strafverfahren konfrontiert, die ihn im schlimmsten Fall hinter Gitter bringen könnten. Die ungeheuerliche Frage stellt sich also für beide: Was wäre der Plan B – und wer könnte als Last-Minute-Kandidat einspringen?
Ausfall vor den Nominierungsparteitagen
Biden und Trump haben die internen Vorwahlen ihrer Parteien bereits gewonnen und sich dort die nötigen Delegiertenstimmen für die jeweiligen Nominierungsparteitage im Sommer gesichert. Dort sollen beide offiziell als Präsidentschaftskandidaten gekürt werden. Etwa 2400 Delegierte der Republikaner kommen dafür Mitte Juli in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin zusammen, und etwa 4000 Delegierte der Demokraten Mitte August in Chicago im Bundesstaat Illinois. Sollten Biden oder Trump vorher ausfallen, würde der jeweilige Parteitag, der üblicherweise eher eine choreografierte Krönungsmesse ist, zum Austragungsort für ein echtes Abstimmungsdrama.
Die Delegierten wären dann nicht mehr an den Ausgang der internen Vorwahl in ihrem Gliedstaat gebunden, sondern frei in ihrer Entscheidung. Der Posten wäre offen für alle möglichen Hochkaräter der jeweiligen Partei, und es würden sicher diverse alternative Bewerber öffentlich ihre Ambitionen verkünden. Die Delegierten würden dann beim Parteitag – vermutlich in diversen Wahlgängen und begleitet von heftigem Kandidaten-Lobbying und einigem Spektakel – den neuen Präsidentschaftskandidaten bestimmen. Der Politikwissenschaftler David Barker von der American University in Washington meint: «Das wäre so ziemlich das Aufregendste, was alle, die US-Politik verfolgen, in ihrem Leben erlebt haben.»
Ausfall nach den Nominierungsparteitagen
Würden Biden oder Trump erst nach den Nominierungsparteitagen ausscheiden, dann wäre die jeweilige Parteiführung am Zug. Das Republican National Committee (RNC) hat knapp 170 Mitglieder, das Democratic National Committee (DNC) mehrere Hundert – mit Vertretern aus allen Bundesstaaten. Es wäre also zwar kein ganz kleiner Vorstandszirkel, dem die Entscheidung zufallen würde. Dennoch könnte es Experten zufolge übel aufstossen, wenn der Beschluss allein in einer solchen Runde fiele.
«Das wäre beispiellos, und es würde sicherlich einen populistischen Aufstand auslösen», sagt Barker. Gerade bei den Republikanern könnten Kritiker anprangern, dass die «Establishment-Elite» der Basis Mitsprache verweigere, argumentiert er. Insofern wäre auch möglich, dass noch mal ausser der Reihe ein Parteitag einberufen würde, falls das zeitlich und logistisch noch machbar wäre. In den Parteistatuten der Republikaner ist das als Option explizit genannt.
Trump hat im Übrigen gerade erst eine Neuaufstellung der Spitze der Republikanischen Partei durchgedrückt und dort zwei enge Vertraute als Co-Vorsitzende installiert: den Wahlleugner Michael Whatley, der Trumps Behauptung vom gestohlenen Präsidentschaftswahlsieg 2020 stützte, und seine eigene Schwiegertochter, Lara Trump.
Ausfall nach dem Wahltag
Die Präsidentenwahl steht am 5. November an. Sollte der Wahlgewinner danach sein Amt nicht antreten können, ginge der Posten automatisch an dessen Vize. Das ist in der Verfassung geregelt. Biden hat als Vize-Kandidatin seine bisherige Stellvertreterin Kamala Harris ausgewählt – sie würde dann aufrücken. Trump hat noch nicht kundgetan, mit wem als Vize er bei der Wahl antreten will.
Mögliche Last-Minute-Kandidaten der Demokraten
KAMALA HARRIS (59): Die Vizepräsidentin wäre eigentlich die natürliche Nachfolgerin Bidens. Angesichts mieser Umfragewerte und einer insgesamt schwachen Performance in ihren bisherigen Amtsjahren hat sie allerdings einen schlechten Stand und hätte vermutlich Schwierigkeiten, sich durchzusetzen, falls die Personalfrage vor dem Wahltag zu klären wäre.
GAVIN NEWSOM (56): Der Gouverneur des mächtigen Bundesstaates Kalifornien hat sich national einen Namen gemacht und intensiv an seinem politischen Profil gearbeitet, zuletzt unter anderem mit viel beachteten Auslandstrips. Mancher wertete das als eine Art Schattenkampagne für das höchste Amt im Staat.
GRETCHEN WHITMER (52): Die Gouverneurin von Michigan gilt schon seit Längerem als aufstrebende Kraft in der Partei. Vor der Wahl 2020 hatte Biden sie als seine Vize in Erwägung gezogen.
JAY ROBERT PRITZKER (59): Der Gouverneur von Illinois gehört dem progressiven Flügel der Partei an. Er stammt aus einer reichen Unternehmerfamilie und hat ein Milliardenvermögen. In der Partei hat er grossen Einfluss, allerdings ist er im Land nur wenig bekannt.
Mögliche Last-Minute-Kandidaten der Republikaner
MISTER ODER MISSES X: Wen auch immer Trump zu seinem «Running Mate» machen sollte, dürfte die Hand heben.
NIKKI HALEY (52): Die frühere US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen lieferte sich bei den internen Vorwahlen ein wochenlanges Duell mit Trump, war jedoch chancenlos und gab sich schliesslich geschlagen. Durch den Zweikampf schärfte sie ihr nationales Profil. Eingefleischten Trump-Anhängern ist sie aber verhasst.
RON DESANTIS (45): Floridas Gouverneur galt einst als chancenreichster interner Trump-Konkurrent. Bei den Vorwahlen schnitt er schwach ab, könnte sich aber trotzdem noch mal ins Spiel bringen.
DONALD TRUMP JUNIOR (46): Der älteste Sohn von Trump ist sehr eingebunden in die Wahlkampagne seines Vaters. Der Scharfmacher ist an der Trump-Basis beliebt und schon länger im Gespräch dafür, eines Tages das politische Erbe des Vaters anzutreten.