Nahost-Eskalation überschattet Scholz’ China-Besuch
Der Auftakt des dreitägigen China-Besuchs des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) ist von iranischen Luftangriffen auf Israel überschattet worden. Der Kanzler erfuhr in der Nacht zu Sonntag während seines knapp zehnstündigen Flugs von Berlin nach Chongqing auf halber Strecke von der gefährlichen Eskalation im Nahen Osten.
Scholz: Iran riskiert regionalen Flächenbrand
Nach der Landung verurteilte er als Erstes die Angriffe «mit aller Schärfe». «Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand», erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Namen des Kanzlers. «In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels. Über weitere Reaktionen werden wir uns nun eng mit unseren G7-Partnern und Verbündeten besprechen.»
Scholz war während des Flugs laufend über die Eskalation im Nahen Osten unterrichtet worden, wie es aus seinem Umfeld hiess. Die Delegation habe in engem Kontakt mit den deutschen Sicherheitsbehörden gestanden.
Der Vergeltungsschlag für einen – mutmasslich von Israel geführten – Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in Syriens Hauptstadt Damaskus war seit Tagen erwartet worden. Es gab auch Hinweise darauf, dass er an diesem Wochenende stattfinden könnte. Scholz entschied sich trotzdem, seine Reise anzutreten.
Auftakt in der wohl bevölkerungsreichsten Stadt der Welt
Inwieweit die Entwicklungen Scholz’ Reiseprogramm nun beeinträchtigen werden, war am Sonntagmorgen noch offen. In der Megacity Chongqing, die mit ihren 32 Millionen Einwohnern als bevölkerungsreichste Stadt der Welt gilt, waren der Besuch einer Produktionsstätte von Wasserstoffantrieben der Firma Bosch und ein Gespräch mit Studierenden über Stadtplanung geplant. Ausserdem standen ein Gespräch mit dem regionalen Parteisekretär Yuan Jiajun und eine Bootsfahrt auf dem Jangtse-Fluss auf dem Programm des Kanzlers.
Chongqing liegt am Jangtse vor einer Bergkulisse und gilt als aufstrebende Wirtschaftsmetropole. Unter anderem kommen 30 Prozent der weltweit produzierten Laptops von dort. Am Montag ist die Weiterreise nach Shanghai geplant, am Dienstag will der Kanzler in Peking Chinas Präsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Qiang treffen. Zumindest diese beiden Termine in der Hauptstadt stehen nicht infrage.
Ein Dutzend Top-Manager dabei – VW nicht vertreten
Der Kanzler wird von einem Dutzend Top-Managern begleitet. Darunter sind die Vorstandschefs der Autobauer Mercedes-Benz und BMW sowie des Chemiekonzerns BASF. Volkswagen, der grösste europäische Autokonzern, ist diesmal nicht mit dabei. In Peking bekommt Scholz auch Unterstützung von den Ministern Cem Özdemir (Agrar, Grüne), Volker Wissing (Verkehr, FDP) und Steffi Lemke (Umwelt, Grüne).
Es ist die zweite China-Reise des Kanzlers seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021. Sein Antrittsbesuch im November 2022 war wegen der noch anhaltenden Corona-Pandemie nur ein Tagestrip. Diesmal nimmt er sich drei Tage Zeit – so viel wie nie zuvor für ein einziges Land bei einer Reise.
Zu den Hauptthemen dürften die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Bemühungen um ein Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, die Spannungen zwischen China und Taiwan und der Klimaschutz zählen.
Praxistest für die China-Strategie
Im vergangenen Sommer hatte die Ampel-Regierung eine China-Strategie beschlossen, die auf eine Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Volksrepublik abzielt, um ein böses Erwachen wie bei der Kappung der russischen Gaslieferungen nach dem Angriff auf die Ukraine zu vermeiden. So richtig zündet diese Strategie bei der deutschen Wirtschaft aber nicht. Die etwa 5000 deutschen Unternehmen in China sorgen sich eher um unfaire Wettbewerbsbedingungen und die Exporteure um sinkende Absatzzahlen. Umgekehrt fluten etwa billige chinesische Elektroautos den europäischen Markt. Die EU-Kommission hat deswegen eine Untersuchung wegen möglicher illegaler Subventionierung eingeleitet. Sollte diese in Gegenmassnahmen münden, könnte dies einen Handelskrieg auslösen, befürchten vor allem die deutschen Autobauer.
Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, die als Sprachrohr der regierenden Kommunistischen Partei gilt, schrieb vor Scholz’ Landung, die Erwartung an den Besuch sei, dass «neuer Schwung» in die Beziehungen der beiden Staaten komme. Deutschland und China sollten mit ihrer wirtschaftlichen Verflechtung im Zeitalter der Globalisierung die enge und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit fortsetzen, hiess es.
Ukraine-Krieg: China als wichtigster Verbündeter Russlands
Als grösster Erfolg des Antrittsbesuchs des Kanzlers in Peking vor eineinhalb Jahren wurde verbucht, dass Xi sich anschliessend gegen die russischen Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen stellte. Diesmal dürfte es unter anderem um die Ukraine-Friedenskonferenz gehen, die Mitte Juni in der Schweiz stattfinden soll. Ein möglicher Erfolg steht und fällt mit der Teilnahme Chinas und anderer Staaten, die Russland freundlich gesinnt sind, wie Brasilien oder Südafrika. Scholz setzt sich für eine Teilnahme dieser Länder ein.
Gleichzeitig sorgt er sich darum, dass China Russland mit militärisch nutzbaren Gütern versorgt. Auch das könnte bei dem Besuch Thema werden. «Es geht darum, dass China Russland nicht dabei unterstützt, gegen seinen Nachbarn Ukraine einen brutalen Krieg zu führen», sagte Scholz vor seiner Abreise der «tageszeitung».