HIV ist auch 40 Jahre nach seiner Entdeckung nicht besiegt
Vor 40 Jahren hat die US-Regierung HIV als Ursache für Aids bekanntgegeben. Trotz grosser Fortschritte ist die Krankheit laut Fachleuten auch heute noch ein Problem. Auch in der Schweiz wird HIV jedes Jahr bei weit über hundert Personen neu diagnostiziert.
«Die Situation ist heute aber eine grundlegend andere als vor vierzig Jahren», sagte Dominique Braun vom Universitätsspital Zürich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Der Arzt und Forscher ist an der seit über 35 Jahren laufenden HIV-Kohortenstudie beteiligt.
Vor genau vierzig Jahren haben Forschende weltweit ein Wettrüsten gegen das Aids-Virus HIV gestartet. Am 23. April 1984 hatte die US-Gesundheitsministerin Margaret Heckler an einer Pressekonferenz verkündet: «Die wahrscheinliche Ursache von Aids ist gefunden!» In zwei Jahren, so ihre gewagte Prognose, werde wohl ein Impfstoff verfügbar sein, der eine Ansteckung verhindere.
Ein grosser Moment, denn eine Ansteckung mit HIV kam damals einem Todesurteil gleich. Fünf bis sechs Jahre nach der Infektion war das Immunsystem von Menschen mit Aids, wie das Endstadium einer HIV-Infektion heisst, so geschwächt, dass sie starben.
Einen Impfstoff gibt es bis heute nicht. So stiegen die Infektionszahlen weltweit weiter an. Zehn Jahre später war Aids in den USA die häufigste Todesursache bei den 25- bis 44-Jährigen.
Erste wirksame Therapie
Der erste grosse Durchbruch im Kampf gegen HIV kam erst 1996 mit der sogenannten Tripel-Therapie. Eine Kombination aus drei Medikamenten, die HIV an unterschiedlichen Stellen attackieren. Die Todesfälle konnten damit drastisch reduziert werden. Beim Nachweis der Wirksamkeit dieser Therapie spielte die Schweizer HIV-Kohortenstudie, für die seit 1988 rund 22’000 Personen mit HIV befragt wurden, eine entscheidende Rolle.
«Diese ersten Therapien waren aber so toxisch, dass die Lebensqualität von Betroffenen gering war», sagte Braun. Erst nach und nach wurden die Nebenwirkungen reduziert.
Swiss Statement als Befreiungsschlag
Ein weiterer grosser Schritt erfolgte 2008: Die Schweizer Ärztezeitung publizierte das sogenannte «Swiss Statement». Darin wurde festgehalten, dass Personen, die unter einer gut wirksamen Therapie stehen, nicht mehr ansteckend sind. «Für Betroffene und ihre Angehörigen war das ein Befreiungsschlag», sagte Braun. Als erstes Land hielt die Schweiz damit fest, dass HIV-positive Personen unter Behandlung beim Sex auf das Kondom zum Schutz vor einer HIV-Übertragung verzichten können.
Heute ist HIV gut behandelbar. Personen in Behandlung sind nicht nur nicht mehr ansteckend, ihre Lebenserwartung gleicht auch derjenigen der Allgemeinbevölkerung. Die grosse Mehrheit der Patientinnen und Patienten nehme eine Kombi-Pille mit zwei oder drei aktiven Substanzen pro Tag.
371 Neu-Diagnosen 2022
So konnte auch ohne Impfung die Zahl der Ansteckungen drastisch gesenkt werden. Während dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den 1990-er-Jahren im Schnitt 1300 Fälle pro Jahr gemeldet wurden, waren es 2022 noch 371. Männer, die Sex mit Männern haben, sind anteilsmässig am meisten betroffen.
Eine weitere Reduktion erhoffen sich Fachleute durch das Medikament Prep, das vor einer Infektion schützt. Ab Juli 2024 wird es in der Schweiz durch die Krankenkasse bezahlt.
Auch an einer Heilung von Aids werde weiter geforscht, so Braun. Dass bisher weltweit fünf Menschen geheilt worden seien, sei eine Art «proof of concept». Man wisse, wie es gehen könnte. Aber die Risiken seien viel zu hoch, gerade angesichts der guten Behandlungsmöglichkeiten.
2030-Ziel sehr ambitioniert
Weltweit leben laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 39 Millionen Menschen mit HIV. Das Ziel der WHO ist es, die HIV-Epidemie bis 2030 zu beenden
«Man hat die Instrumente, die theoretisch Neuansteckungen drastisch senken könnten», sagte Braun dazu. In der Praxis sehe es aber komplizierter aus. So würden die politische Lage oder die finanziellen Ressourcen in einigen Ländern Massnahmen gegen HIV wie die Behandlung mit Medikamenten oder die Vorbeugung mit Prep erschweren. Das Ziel der WHO sei deswegen sehr ambitioniert.