Schlappe für Indiens Premier Modi bei Parlamentswahl
Indiens Premierminister Narendra Modi hat sich bei der Parlamentswahl zum Sieger erklärt, sein Koalitionsbündnis erlitt jedoch einen herben Rückschlag. Die Menschen hätten seiner Regierungskoalition «zum dritten Mal in Folge ihr Vertrauen ausgesprochen», schrieb Modi am Dienstagabend (Ortszeit) auf X.
Nach Auszählung eines Teils der Stimmen dürfte seine hindu-nationalistische BJP stärkste Partei werden, jedoch ihre absolute Mehrheit im Unterhaus verlieren. Damit wäre sie auf ihre Koalitionspartner angewiesen, um eine Regierung zu bilden.
Es galt zwar als sicher, dass Modi für eine dritte Amtszeit von fünf Jahren weiterregieren kann. Allerdings schloss Rahul Gandhi von der oppositionellen Kongress-Partei Gespräche mit zwei von Modis Koalitionspartnern nicht aus. Die Aktienbörse erlitt in Reaktion auf Modis Schlappe die stärksten Verluste seit vier Jahren.
Das Oppositionslager schnitt unerwartet gut ab und sprach von einem Sieg der Demokratie. Modi hatte die Messlatte für einen Erfolg im Wahlkampf selbst hoch gehängt: Seine Regierungskoalition werde mehr als 400 der zur Wahl stehenden 543 Sitze im Unterhaus gewinnen und ihre Mehrheit ausbauen, sagte er. Dieses Ziel hat er offensichtlich verfehlt.
Die BJP hatte im Wahlkampf stark auf den selbst geschaffenen Personenkult um Modi gesetzt. Modi will nach Jawaharlal Nehru, dem ersten Premierminister des Landes, der erst zweite Staatschef in der Geschichte des Landes werden, der drei Amtszeiten in Folge regieren kann. Doch statt seine Machtbasis wie erhofft weiter auszubauen, steht er jetzt geschwächt da.
Der Wahlkampf war stark von der hindu-nationalistischen Agenda des 73-Jährigen geprägt, der sich als Indiens starker Mann präsentierte. Er und seine Partei wollen Indien zu einem Staat nur für die hinduistische Mehrheit machen, die 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht.
Schon jetzt werden Muslime und andere religiöse Minderheiten zunehmend wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Modi bezeichnete Muslime gar als «Eindringlinge». Den Wahlkampf begann er auf den Ruinen einer jahrhundertealten Moschee, die radikale Hindus zerstört hatten. Einem Priester gleich weihte Modi dort einen grossen hinduistischen Tempel ein. Modis Agenda ist das genaue Gegenteil der Vision von Gründervater Mahatma Gandhi, der sich einst für eine strikte Trennung von Religion und Staat ausgesprochen hatte.
Modi kam vor einem Jahrzehnt mit dem Versprechen an die Macht, die indische Wirtschaft umzugestalten. Seither hat sich das Land stark verändert. Er liess Milliardensummen in neue Infrastruktur investieren. Überall entstehen neue Strassen, Flughäfen und Bahnverbindungen.
Die Wirtschaftsleistung hat sich nahezu verdoppelt, inzwischen ist Indien die fünftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt, was Investoren anlockt. In aller Welt wird das Land um sein Wirtschaftswachstum beneidet, die Aktienmärkte boomen. Die Digitalisierung schreitet voran, mobile Netze sind günstig. Im vergangenen Jahr gelang Indien sogar eine erfolgreiche Mondlandung – als erst viertem Land überhaupt. Doch es gibt Risse in der schönen Fassade.
Viele Menschen finden keinen Job, Arbeitslosigkeit und Inflation sind hoch. Rund 800 Millionen der 1,4 Milliarden Menschen kommen offiziellen Angaben zufolge nur mit Sozialhilfe über die Runden. Das Wachstum ist extrem ungleich verteilt. Immer wieder wies das Oppositionslager um die Kongresspartei auf diese Zustände hin – und fand nun offenbar Gehör.
Die Opposition schnitt viel besser ab als erwartet. «Ich bin extrem stolz auf die Menschen in Indien», sagte Rahul Gandhi, Anführer der oppositionellen Kongress-Partei. Die Bevölkerung des Landes habe deutlich gezeigt, dass sie Modi als Regierungschef ablehne.
Das Oppositionslager warnte immer wieder vor einer Aushöhlung der Demokratie unter Modi. Auch wenn die Wahlkommission die Parlamentswahl mit knapp einer Milliarde zur Abstimmung gerufenen Menschen gerne die «grösste demokratische Übung der Welt» nannte, machen sich viele Sorgen. «Wenn man Modis zweite Amtszeit als Massstab nimmt, wird eine dritte Amtszeit nicht gut für die langfristige Gesundheit der indischen Demokratie sein», so der Politologe und Südasien-Experte Sumit Ganguly von der Indiana University in den USA.
«Die Institutionen des Landes, die seit ihrer Gründung Herausforderungen gemeistert haben, sehen sich nun existenziellen Bedrohungen gegenüber, die ihren demokratischen Kern auflösen könnten», schrieb er kürzlich im Fachmagazin «Journal of Democracy». Modi habe die Macht in seinem Amt zentralisiert, die Unabhängigkeit der Justiz und Medien untergraben und die ideologischen Ziele seiner Partei mit rücksichtsloser Effizienz verfolgt, hiess es in der Zeitschrift «Foreign Affairs».
Ähnlich warf die Opposition Modi vor, Staatsorgane zu nutzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Mehrere Oppositionspolitiker sassen wegen Korruptionsvorwürfen während des Wahlkampfes in Untersuchungshaft.
Modi schrieb zudem jegliche positive Entwicklung seines Landes seiner eigenen Führung zu und nutzte die bisher immer grösser werdende Bedeutung Indiens auf der Weltbühne. Deutschland, die USA und andere westliche Staaten suchen angesichts eines immer aggressiver auftretenden Chinas zunehmend engere Beziehungen zum Subkontinent. Dabei sehen sie nach Meinung von Kritikern darüber hinweg, dass Indien beim Ukraine-Krieg neutral bleibt, viel günstiges russisches Öl kauft und gute Beziehungen zu Moskau pflegt.