«Ich wott schpile – begrifsch?»
Weshalb die Handwerker am Anfang, mit ultrakurzen Satzwörtern? So lustig, wie sie taten, waren sie nicht. Freute man sich doch vor allem auf die Figuren Calderóns. Schliesslich ist es zehn Jahre her, seit sie sich letztmals gezeigt haben. Und dann das: Ein Mädchen drängt sich in den Vordergrund – und bleibt der rote Faden durch den ganzen Theaterabend. Lukas Bärfuss (Autor) beschreibt sie erst als Kind, dann als junge Frau, als reifere Frau, als Alte. Emanuela steht für kindliche Unschuld, für die Suche nach Gerechtigkeit, die Sehnsucht nach Liebe und Macht. Mit Kraft und Wut, ja Hass treibt sie über den Klosterplatz.
Wut als Lebensmotor?
Die eigentlichen Figuren, die Schönheit, der Arme, der Bauer, die Vernunft, der König und der Autor (Schöpfer) wollen das Kind Emanuela vom Spiel des Lebens abhalten. Doch die Kleine will spielen, und zwar unbedingt, so unbedingt, wie ein Mensch normalerweise leben will. Bald schart sie Kinder um sich. Sie scheint die geborene Führerfigur. Der Autor (Schöpfer) aber warnt und will Emanuela beistehen oder vielmehr sie zur Raison bringen. Die Welt mischt sich ein: «Viel Schöns, viel Schlimms!» habe sie bereit. Kleine Viecher, grosse Viecher. Emanuela aber hat ihre Rolle gefunden; sie begehrt als junge Frau, krönt sich selbst zur Königin – und bringt in Raserei ihren geliebten Pablo um. Was sie hinterher bereut und beweint.
Welche Rolle bleibt ihr? Emanuela wird älter. «S’Läbe isch nie, was me dänkt het», bringt der altkluge Autor ein, der schattenhaft auftaucht. Die Schuldfrage weist die Frau nun von sich. Sie bereichert sich aufs Neue, hetzt die Armen auf, die sich prächtig und grobschlächtig inszenieren; sie schmückt sich mit geklauten Kleidern aus dem Kloster als Madonna, bleibt grenzenlos in ihrer Gier. Die Vernunft nimmt reissaus.
Erst gegen Ende ihres Lebens, als Greisin, (keineswegs milder geworden) murmelt sie doch Pablos Namen. «Pablo! Hörst du? Ich liebe dich! Das geht nicht vorbei.» Ein später Sieg für die Liebe? Als das Höchste, trotz niederen Trieben, Tod und Verderben?
Welttheater, unbändig das Leben bis hin zum Tod, welcher ebenso schön von Chor und Orchester begleitet wird, wie die kurze Unbeschwertheit der ers-ten Liebe Emanuelas und Pablos.
Zu düster, zu extrem? Nein. Zu wütend? Nein, aber provokativ, bisweilen sehr angriffig, wie Theater eben sein soll. Mit prägnanten Sätzen. Und Lukas Bärfuss sagte, er habe ein feministisches Stück geschrieben, wie noch keines. Kraft gepaart mit Wut und Leidenschaft. Ist es das, was Frauen weiterbringt? Und wenn ja, – wohin? Auch diese Frage regt an, regt auf.
Aus der Gruft fliegen Tauben
Opulente Bilder mit berauschenden Farbschattierungen und fantasievollen Kostümen prägen das Spiel ebenso wie unzählige Details. Die Szenen sind getragen von ansteckender Spielfreude. Insbesondere die Kinder hüpfen in ihren Rollen wie nimmermüde Gummibälle über den Klosterplatz, der all das mit sich machen lässt, sich noch dazu öffnet, um mit Taubenflug und Nebelschwaden zu bezaubern.
Und die kleinen Blitze, die im Kopf toben, möchten die Wut verstehen, die Mordlust, die Reue, die Liebe. Und die Erkenntnis folgt auf dem Fuss: Es ist wie im richtigen Leben. Wirklichkeit und Schein treiben ein stetiges und hintergründiges Spiel, manchmal ein böses, manchmal ein bizarres und komisches und manchmal ein lichtes und schönes. All das spiegelt das Welt-theater.
Alle Mitwirkenden, das Team der Produktion, Chor und Orchester sind unter www.einsiedler. welttheater.ch näher beschrieben. Tickets sind ebenfalls auf dieser Homepage zu buchen.
Das mit Spannung erwartete Welttheater Einsiedeln zum 100-Jahr-Jubiläum zeigt in der Hauptrolle ein Frauenleben. Das Produktionsteam um Livio Andreina sowie das Spielvolk samt Chor und Orchester verdienten sich an der Premiere grosses Lob.
«Schön isch, was wahr isch. Und was wahr isch, weiss niemer meh. Weisch du’s?»
Schönheit
Figur des Welttheaters