«Nacht in Damaskus» zeigt die syrische Hauptstadt im Dauerstress
Als 2011 in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach, floh der Autor Shukri Al Rayyan in die Schweiz. Nun erscheint sein Roman «Nacht in Damaskus» auf Deutsch. Er erzählt beispielhaft vom Niedergang der alten Kulturstadt unter dem Assad-Regime.
Shukri Al Rayyan und seine Frau Joumana spielten es oft, das Heimwehspiel, als sie angekommen waren in der Schweiz. Sie spazierten durch Langenthal im Kanton Bern, in dessen Nähe sie in einem Durchgangsheim wohnten, und taten, als ob sie in Damaskus unterwegs wären.
«Unsere Söhne hörten uns über neue Schuhe reden, die wir in einem Geschäft in der Al-Shalaan-Strasse gesehen hatten, oder von einem anhaltenden Streit, der kaum eine halbe Stunde nach Verlassen unseres Stammcafés am Aarnoos-Eck begonnen hatte», schreibt Al Rayyan in einem Essay mit dem Titel «Being a Burgdorfer». «Für uns war das ein Weg, die Leere zu durchbrechen, der wir ins Auge sahen, seit wir, schon an der Schwelle zu unseren Fünfzigern, aus unserer Heimat geflohen waren.»
Zwei Jahre später zog die Familie einige Kilometer weiter nach Burgdorf, wo sich das Spiel nicht wiederholen liess. «Es war die Burg, welche die Tricks von einst vereitelte», so Shukri Al Rayyan, heute 62 Jahre alt. «Zwar haben wir in Damaskus unsere eigene Burg, doch hockt sie dort nicht auf einem Hügel und starrt dich noch in den abgelegensten Winkeln der Stadt an.»
Es galt nun, anzukommen in der Fremde, Freunde zu finden und das Schreiben wieder aufzunehmen. Unterstützt wird Al Rayyan seither im Projekt «Weiterschreiben Schweiz», das Autorinnen und Autoren im Exil mit dem hiesigen Literaturbetrieb vernetzt und sichtbar macht. «Nacht in Damaskus» ist der erste Roman von ihm, der nun auf Deutsch erscheint. Am (heutigen) Donnerstag stellt ihn Shukri Al Rayyan selber in Burgdorf vor.
Keine Orient-Romantik
Damaskus! Eine der ältesten kontinuierlich bewohnten Städte der Welt. Eine dieser vielbesungenen «Perlen des Orients», wie Bagdad im Irak oder Beirut im Libanon. Von diesen und anderen Kulturmetropolen im Nahen Osten ist heute nicht viel übrig. In Syrien haben eine jahrzehntelange Diktatur und der daraus resultierende Bürgerkrieg nicht nur das Erbe der Stadt zerstört, sondern auch den aufrechten Gang ihrer Bürgerinnen und Bürger gebrochen.
Von Letzterem erzählt Shukri al Rayyan in seinem Roman so unspektakulär wie eindrücklich. Wer Rafik Schami liebt, den syrisch-deutschen Erzähler, der Damaskus in seinem Roman «Sophia» rauschhaft sinnlich beschrieben hat, wird bei Al Rayyan nicht fündig. Dessen Figuren haben kaum Gelegenheit, die Schönheit ihrer Stadt zu geniessen. Sie sind ständig damit beschäftigt, nicht ins Visier von Assads Schergen zu geraten und sich unter dem Radar irgendwie durchzumogeln.
Die Protagonisten Dschawad und Lamis sind auf den ersten Blick moderne junge Leute, die frei sein und Spass haben wollen. Sie ist selbstbewusst, macht den ersten Schritt. Er zögert etwas, lässt sich dann aber ein auf ein Glück, von dem er nie zu träumen gewagt hat. Denn als kleiner Angestellter hat er kein Geld zum Heiraten, schon gar nicht eine Tochter aus gutem Hause. Dass er nach dem Tod seines sadistischen Chefs eine Tasche mit einem grossen Geldbetrag in dessen Büro findet, mutet an wie eine wundersame Fügung aus 1001 Nacht. Doch die Tasche kommt Dschawan gleich wieder abhanden. In der Folge nutzt der Autor die Jagd verschiedener Personen nach dem «Schatz» als roten Faden durch eine ganz und gar nicht märchenhafte Geschichte.
Ungewohntes Leseerlebnis
Die eigentliche Hauptrolle im Roman «Nacht in Damaskus» spielen «die Verhältnisse», wie Shukri Al Rayyan selber im Vorwort schreibt, Verhältnisse, unter denen «die Syrer entweder zu Kriminellen oder zu Opfern gemacht wurden». So oder so ist es schwierig, sich mit solchen Romanfiguren zu identifizieren. Obwohl der Antiheld Dschawan anfänglich sympathisch wirkt, lässt seine Umständlichkeit und indirekte, irgendwie unaufrichtige Art diese Sympathie bald wieder schrumpfen. Gerade an seiner Hauptfigur zeigt Al Rayyan, zu welchen charakterlichen Deformationen jahrzehntelange Unterdrückung führt.
Dabei blitzt immer wieder der Humor des Autors durch. So führen nach langen Exkursen über das Wesen der Angst, des Misstrauens oder eines Schocks witzige kleine Wendungen zurück zur Handlung. Zum Beispiel zu dem Moment, als Dschwan ins Fadenkreuz eines Geheimdienstlers gerät: «(…) zum Schock kommen die Schmerzen, die man auch mit dem grössten Mitgefühl nicht nachempfinden kann. Das gilt umso mehr, wenn das arme Opfer aus schwindelerregender Höhe stürzt, das Pech hat zu überleben, und nun auch noch seinen Heimweg fortsetzen muss. Genauso erging es Dschawad nach dem Anruf von Oberstleutnant Muwaffaq. Sein Gehirn arbeitete mit Blitzgeschwindigkeit und rannte ihm auf dem Weg nach Hause fast davon.»*
*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.