Locarno Film Festival ehrt Columbia Pictures mit 44 Filmen
Seit hundert Jahren produziert Columbia Pictures Filme. Das Locarno Film Festival widmet seine Retrospektive der Produktionsfirma und der goldenen Ära des Hollywood-Studiosystems von 1929 bis 1959. Kurator Ehsan Khoshbakht sagt, was das Besondere daran ist.
Die Frau im langen weissen Gewand mit blauer Stola, den rechten Arm erhoben, mit einer Fackel in der Hand, dahinter beleuchtete Wolkentürme und im Strahlenkranz der Schriftzug «Columbia» – seit hundert Jahren erscheint dieses Bild im Vorspann unzähliger Filme. «The Lady with the Torch» heisst denn auch die Retrospektive, die das 77. Locarno Film Festival der US-amerikanischen Produktionsfirma widmet.
Auf dem Programm, das das Filmfestival zusammen mit dem Filmarchiv Cinémathèque suisse erarbeitet hat, stehen 44 Filme, grosse Klassiker und weniger bekannte Werke.
«Ich wollte die goldene Zeit der Studio-Ära zeigen, nicht nur bei Columbia Pictures, sondern ganz allgemein in der Geschichte des Kinos, von der Zeit, als der Tonfilm aufkam bis Ende der 1950er Jahre», sagte Ehsan Koshbakht der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er hat das Programm kuratiert.
Studio und Künstler
Während dieser Jahre war es vor allem der Produzent Harry Cohn (1891-1958), der Columbia Pictures geleitet hat. Sich auf ihn zu konzentrieren sei eine gute Idee gewesen, «um zu zeigen, wie ein Chef die Produktionen beeinflussen kann», sagte Koshbakht.
Cohn habe noch auf das kleinste Detail geachtet. Zum Beispiel habe er sich überlegt, ob der Bindestrich im Titel des amerikanischen Kriegsfilms «Counter-Attack» (1945) notwendig war.
Auch das Verhältnis von Regisseurin oder Regisseur zur Produktionsfirma sei stets ein Thema gewesen. «Ich glaube, jeder Regisseur hatte bei der Bearbeitung des ihm vorgelegten Drehbuchs eine gewisse Freiheit», sagte Koshbakht.
«Die persönliche Handschrift scheint immer durch, aber zwischen dem Stil des Studios, seinen Beschränkungen, aber auch seinen Vorteilen, und der persönlichen Vision des Regisseurs gibt es viel Verhandlungsspielraum», so Koshbakht. Im Programm der Retrospektive werde «vielleicht zum ersten Mal sowohl das Genie des Systems als auch das Genie des Künstlers anerkannt».
Frauen hinter der Kamera
Bei Columbia Pictures gab es für verschiedene Arbeitsverhältnisse keine langfristigen Verträge. «Die Leute wurden für einen bestimmten Film oder von Woche zu Woche eingestellt», sagte der Kurator. Deswegen sei die die Vielfalt in der Regie der einzelnen Filme gross gewesen. Auch Frauen hätten Regie geführt und arbeiteten vor und hinter der Kamera. Der Kurator verwies auf eine der wichtigsten Regisseurinnen aus der Zeit des Hollywood-Studiosystems: Dorothy Arzner drehte zwischen 1927 und 1943 rund 20 Filme.
Oder Virginia Van Upp: «Es überrascht nicht, dass Cohn sie nicht nur als ausführende Produzentin, sondern auch als Drehbuchautorin eingestellt hat.» Van Upp war eine der ersten ausführenden Produzentinnen Hollywoods. Zu ihren Filmen gehört «Together Again» (1944) von Charles Vidor, der auch im Programm der Retrospektive läuft – «einer der absoluten Höhepunkte des Festivals», meinte Koshbakht. Zudem war Van Upp für Produktion und Drehbuch von «Gilda» (1946) verantwortlich. Regie führte ebenfalls Vidor – «einer der berühmtesten Filme von Columbia Pictures aller Zeiten», so Koshbakht.
3000 Filme im Columbia-Katalog
Für die Retrospektive hat Koshbakht etwa 300 Filme angeschaut, von rund 3000, die Columbia Pictures im Katalog hat. Dabei fällt auf, dass die Filme, die nun im Programm sind, häufig Themen behandeln, die nicht an Aktualität eingebüsst haben, beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Stellung der Frau.
«Ein Programm mit Filmen aus der Vergangenheit sollte Antworten auf Fragen der Gegenwart geben, sonst ist es sinnlos», sagte der Kurator. Zur Retrospektive hat Ehsan Khoshbakht das Buch «The Lady with the Torch. Columbia Pictures 1929-1959» herausgegeben. Die Bilder stammen grossteils aus der Sammlung der Cinémathèque suisse. Dort kann das Buch bezogen werden.