Durows Festnahme in Paris befeuert Debatte über Telegram
Von seinen Anhängern wird Pawel Durow als Gründer des Messengerdienstes und Nachrichtennetzwerks Telegram wie ein Heiliger verehrt. Dass der 39-Jährige, der in Dubai lebt und bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten und Interviews eine kompromisslose Freiheit des Internets predigt, nun in Paris bei einer Spezialoperation festgenommen wurde, löst international Entsetzen aus – und Debatten über Telegram.
Das wegen seiner Verwendung auch von Kriminellen umstrittene soziale Netzwerk hat laut Durow inzwischen fast eine Milliarde Nutzer, ist als App auf Hunderten Millionen Mobiltelefonen installiert – und gewinnt weiter an Einfluss. Auch deshalb halten viele das Vorgehen der französischen Justiz gegen Durow für politisch motiviert.
Zwar weist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zurück, dass es bei der Verfolgung des russischen Milliardärs um Politik gehe. Durow hat neben seiner russischen auch die französische Staatsbürgerschaft und unter anderem auch die seiner neuen Heimat der Vereinigten Arabischen Emirate. Er steht seit langem im Visier der Geheimdienste im Westen und in Russland. Doch seine Festnahme wegen der möglichen Rolle Telegrams bei der organisierten Kriminalität sehen viele vor allem als Angriff auf grundlegende Freiheiten.
Telegram als freies Medium in Diktaturen genutzt
In Frankreich steht der Verdacht im Raum, Durow habe sich durch fehlendes Eingreifen bei Telegram und unzureichende Kooperation mit Behörden des Drogenhandels, der Geldwäsche, des Betrugs und mehrerer Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht. Auch die mangelnde Kooperation mit Behörden bei gesetzlich zulässigen Abhörmassnahmen wird ihm vorgeworfen.
Viele halten das für einen absurden Vorwand, um gegen Telegram grundsätzlich vorzugehen. Vor allem Oppositionelle, die Telegram in Diktaturen oft als letztes freies Mittel der Kommunikation nutzen, sind schockiert.
Der in diesem Monat bei einem Gefangenenaustausch freigelassene russische Oppositionelle Ilja Jaschin kritisiert in seinem deutschen Exil, dass die Vorwürfe gegen Durow Zweifel aufkommen liessen. Er halte Durow weder für einen Verbrecher noch für verpflichtet, mit den französischen Behörden zu kooperieren. «Ein Mensch hat das Recht, nicht mit den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, wenn er dabei nicht selbst das Gesetz bricht», sagt er. Jaschin forderte Frankreich auf, Durow für die Zeit des Verfahrens auf freien Fuss zu setzen.
Telegram spielte etwa eine Schlüsselrolle bei der Organisation von Massenprotesten in Belarus 2020 gegen Machthaber Alexander Lukaschenko. Durow ermöglichte damals durch technische Kniffe, dass auch bei stark heruntergeregeltem Mobilfunk noch Nachrichten bei Telegram abgesetzt werden können – wo andere Netzwerke versagten.
Der von den USA verfolgte Whistleblower Edward Snowden, der in Russland lebt, zeigt sich verwundert. Die Festnahme Durows sei ein Angriff auf die Menschenrechte, sich frei zu äussern und sich zu versammeln. «Ich bin überrascht und tief traurig, dass Macron sich auf die Ebene begeben hat, Geiseln zu nehmen, um den Zugang zu privater Kommunikation zu erhalten», schrieb er im Netzwerk X. Das schade Frankreich und der Welt.
Plattform steht in der Kritik und weist Vorwürfe zurück
In der Kritik steht Telegram seit langem als undurchsichtig organisierte Plattform, auf der sich Verbrecher, darunter Terroristen, Drogendealer und Kriegstreiber, viel leichter als in anderen sozialen Netzwerken frei organisieren können. Durow hatte Russland schon vor Jahren verlassen, weil er sich weigerte mit den Behörden seiner Heimat zu kooperieren. Er berichtete in einem Interview über Avancen von Geheimdiensten etwa in den USA und beklagte einmal, dass er sich im Westen nicht frei fühle.
Statt sich etwa in Deutschland niederzulassen nach seinem Weggang aus Russland, wurde letztlich Dubai seine neue Heimat, wo er mit einem vergleichsweise kleinen Team Telegram zu einer Weltgrösse gemacht hat. Telegram weist zurück, dass der Eigentümer der Plattform für deren Missbrauch durch Dritte verantwortlich gemacht werden könne. Durow habe nichts zu verbergen, Telegram halte sich an EU-Gesetze und moderiere das Netzwerk gemäss den Standards der IT-Industrie, teilte das Unternehmen mit.
Durows Fans halten den durchtrainierten Eigenbrötler und exzentrischen IT-Manager, der sich unlängst als Samenspender und biologischer Vater von mehr als 100 Kindern outete, für ähnlich wichtig in der Welt der sozialen Netzwerke wie den US-Amerikaner Mark Zuckerberg, der mit seinem Meta-Konzern unter anderem Facebook, Instagram und WhatsApp steuert. Durow wurde einst berühmt als Gründer von VK, einem Netzwerk ähnlich wie Facebook, das er auf Druck kremlnaher Kräfte schliesslich verkaufte und sich ins Ausland absetzte.
Dass nun ausgerechnet die westliche freie Welt für Durow zum Verhängnis werden könnte, löst in seiner immer wieder wegen Repressionen auch gegen Medien kritisierten Heimat Russland Verwunderung und Genugtuung aus. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Aussenministeriums, mokiert sich seit Tagen darüber, dass Menschenrechtsorganisationen noch vor Jahren Moskau gewarnt hätten, Telegram zu blockieren.
Kremlgegner und -anhänger fordern Durows Freilassung
Auch russische Militärblogger, die Telegram intensiv für den Informationskrieg bei der russischen Invasion gegen die Ukraine nutzen, zeigten sich verwundert, dass ausgerechnet Frankreich nun zuschlägt. Die kremlnahen Kräfte witterten zudem einen Versuch des Westens, einen extrem talentierten Russen als Konkurrenz für westliche Messengerdienste auszuschalten.
Es ist besonders an dem Fall, dass Kremlfreunde und -gegner sich gemeinsam für Durows Freiheit einsetzen – wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Zwar sieht die Mehrheit der zersplitterten liberalen russischen Opposition keine Beweise für Durows mögliche Kremlnähe und hält Telegram für ein freies Medium. Es gibt aber auch andere Stimmen.
Der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow, der zu den schärfsten Kritikern von Kremlchef Wladimir Putin gehört, vermutet, dass der Machtapparat sich mit Durow engagiert hat. Nach Versuchen, Telegram zu blockieren, nutze der Staat, den Kasparow als «faschistischen Aggressor» bezeichnet, das Netzwerk intensiver denn je. Der Kreml wies gerade demonstrativ Gerüchte zurück, Putin und Durow hätten sich unlängst in Aserbaidschan getroffen.
So sehr die Meinungen auseinandergehen, eine konkrete Folge hat Frankreichs Vorgehen gegen den Telegram-Gründer bereits. Die Netzwerk-Portal TechCrunch wies auf die wachsenden Nutzerzahlen bei Telegram seit der Festnahme Durows hin. Nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Teilen der Welt luden demnach massenhaft Menschen die Telegram-App herunter.