Bürgerliche kritisieren nach Tamedia-Recherche Bundeskanzlei
Nach Bekanntwerden von Ermittlungen wegen möglichen Betrugs bei Unterschriftensammlungen von Volksinitiativen fordern Parlamentsmitglieder in erster Linie Transparenz über die Faktenlage. Auch ein Verbot von gewerbsmässigen Sammelaktionen kommt erneut aufs Tapet.
Die am Montagabend publizierte Tamedia-Recherche schlägt in Bundesbern hohe Wellen. Dass kommerzielle Unternehmen beim Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen betrogen haben sollen, irritiert mehrere Parlamentsmitglieder.
«Ich bin konsterniert und empört – auch wenn ich die effektive Tragweite der Vorfälle nicht kenne und mich derzeit auf die Tamedia-Recherche verlassen muss», sagte der Innerrhoder Mitte-Ständerat Daniel Fässler am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Der Präsident der Staatspolitischen Kommission des Ständerats (SPK-S) fordert nun Transparenz von den verantwortlichen Stellen: «Ich will von der Bundeskanzlei erfahren, wann sie was gewusst hat und ob sie von den Kantonen und Gemeinden transparente Informationen erhalten hat.»
«Grobes Fehlverhalten»
Fässler hat wie weitere kontaktierte Parlamentsmitglieder erst am Montag über die Medien vom möglichen Unterschriftenbetrug erfahren. Er zeigte sich erstaunt darüber, dass er vorher keine Anhaltspunkte dafür hatte – obwohl er bis Ende 2023 als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) für die Bundeskanzlei und das Justizdepartement zuständig war.
Auch der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, Mitglied in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N), ist verärgert, weil die Bundeskanzlei von Unregelmässigkeiten gewusst habe, aber weder sie noch der Bundesrat darüber aktiv kommuniziert hätten. «Dieses Verhalten stärkt das Vertrauen in die Institutionen nicht.»
Die Behörden seien gemäss Öffentlichkeitsgesetz verpflichtet, aktiv zu werden. «Hier liegt ein grobes Fehlverhalten vor», sagte Wasserfallen.
Alter Vorschlag neu lanciert
Dass es beim Sammeln von Unterschriften zu Unregelmässigen kommt, könne nicht weiter überraschen, sagte Fässler. «Im System steckt grosses Missbrauchspotenzial, weil man schwierig jede Unterschrift einzeln überprüfen kann.» Sobald Geld im Spiel sei, nehme das Risiko zu. «Man schafft Anreize für Betrügereien.»
Fässler sieht Handlungsbedarf – falls sich die Fakten erhärten würden. «Eine Möglichkeit wäre ein Verbot von gewerbsmässigen Sammelaktionen», sagte er. Es stellten sich aber verschiedene Abgrenzungsfragen.
Der Vorschlag war vor drei Jahren im Parlament gescheitert, erhält aber mit Publikwerden des möglichen Betrugsfalls neuen Schwung. Die Tessiner Nationalrätin Greta Gysin (Grüne) will gemäss einer Mitteilung ihrer Partei vom Montag in der SPK-N noch diese Woche den Vorschlag einbringen, bezahltes Unterschriftensammeln zu verbieten. Gysin präsidiert die Kommission.
«Kein Problem, solange es sauber läuft»
Ob Gysin mit dem neu lancierten Antrag eine Mehrheit finden wird, ist unklar. Die Unterstützung von links-grünen Parteien scheint Formsache. Die Bürgerlichen sind skeptischer. «Von einem Verbot von bezahlten Unterschriftensammlungen halte ich nach wie vor nichts», sagte FDP-Vertreter Wasserfallen. Kleine Gruppierungen würden benachteiligt, und die Volksrechte würden eingeschränkt. «Bezahltes Unterschriftensammeln ist kein Problem, solange es sauber läuft.»
Wasserfallen sieht in erster Linie juristischen Handlungsbedarf. «Diese Fälschungen sind strafrechtlich zu verfolgen und die Täter zu bestrafen, es geht weniger um ein politisches Problem.» Sobald die E-ID endlich Tatsache sei, hätte man mehr Möglichkeiten, Missbräuche zu verhindern, sagte Wasserfallen.
Auch SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi ist gegen ein Verbot von bezahlten Unterschriftensammlungen. «Wir haben den Anspruch, die Unterschriften selbst zu sammeln.» Allerdings sei bei Referenden im Gegensatz zu Volksinitiativen die Zeit von hundert Tagen immer sehr knapp und deshalb würde bezahlte Hilfe von referendumsführenden Organisationen wohl eher herangezogen. Würden aber Firmen engagiert, müssten sie seriös arbeiten.