«Vertreiben wir die Süchtigen, gehen sie in Wohnquartiere»
Chur versucht seit Jahren eine Lösung für die wachsende offene Drogenszene im Stadtpark zu finden. Sowohl die Aggressivität als auch die Beschaffungskriminalität von Suchtkranken hat in Chur stark zugenommen. Einem Kredit von 3,8 Millionen Franken für einen Konsumraum stimmte die Churer Stimmbevölkerung im Juni zu.
Auch am Bahnhof Glarus existiert seit vielen Jahren eine Drogenszene. In einem Gespräch mit einem unserer Redaktoren erzählte Markus *, der bereits lange zur Glarner Bahnhofsszene gehört, dass sie «keine Drogensüchtigen seien, höchstens Lausbuben». Polizei, Kanton, SBB und Migros erklären, wer hinter der Szene steckt, wie sie sich entwickelt und wie sicher der Bahnhof Glarus ist.
1 Ist die Glarner Bahnhofsszene überhaupt eine Drogenszene?
«Grundsätzlich gibt es am Bahnhof Glarus eine Drogenszene», sagt Rolf Gubser, Chef der Glarner Kriminalpolizei. Hauptsächlich werde Alkohol getrunken, aber auch Drogen konsumiert. «Früher wurde Heroin konsumiert, heute vermehrt Kokain und Marihuana », so Gubser.
2 Welche Menschen sind Teil der Szene?
Die Zahl der Personen in der Drogenszene am Bahnhof Glarus sei seit Jahrzehnten stabil. In den 40 Jahren, in denen er als Polizist tätig sei, sei-en es immer zehn bis 15 Personen gewesen, sagt Gubser. Auch heute zählen ungefähr zwölf Personen zum Kern der Glarner Bahnhofsszene. Teil der Szene seien Menschen aus dem Kanton, aber auch Zugezogene, die hier günstigen Wohnraum fänden, so Gubser. Einige von ihnen würden arbeiten, die meis-ten aber nicht.
Audrey Hauri, Hauptabteilungsleiterin Soziales des Kantons Glarus, sagt, dass Menschen, welche die Sozialen Dienste in Anspruch nehmen, in ihrem Leben oft bereits viel Leid erfahren hätten. Sei es Vernachlässigung, Gewalt, Armut, Krankheit oder Verlust. «Ich wünsche mir, dass wir Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, nicht verurteilen», so Hauri. Auch Gubser bestätigt: «Hinter jedem steht eine persönliche Geschichte. Sie sind nie allein schuld an ihrer jetzigen Situation. »
3 Handelt es sich um kriminelle Menschen?
Grösstenteils müsse die Polizei am Bahnhof Glarus Streitereien schlichten, sagt Gubser. Gerade bei Mischkonsum könne es zu aggressivem Verhalten kommen. Dieses richte sich aber nie gegen Drittpersonen. Es handle sich jeweils um Auseinandersetzungen untereinander. Die Aufgabe der Polizei sei es zu schlichten, die Konsequenzen aufzuzeigen und eine Anzeige aufzunehmen. Letzteres komme aber selten vor. «Meistens sind die Leute, die sich zuvor heftig gestritten hatten, am nächsten Tag wieder gemeinsam am Bahnhof, als wäre nichts gewesen», sagt Gubser.
4 Wie sicher ist es am Bahnhof Glarus für Dritte?
«Wenn wir die Menschen vom Bahnhof vertreiben, sind sie danach verteilt in den Wohnquartieren», sagt Gubser. Wären Dritte in die gewalttätigen Auseinandersetzungen involviert, müsste die Polizei eingreifen. Bisher sei dies aber nicht der Fall gewesen.
Die Genossenschaft Migros hat mit dem Migrolino im Bahnhofsgebäude und der Migros im Glärnischcenter zwei Filialen in Bahnhofsnähe. Auf Anfrage bestätigt die Migros, dass «vermehrt Sicherheitspersonal vor Ort» sei. Zudem könne bestätigt werden, dass Hausverbote erteilt wurden.
Die SBB schreiben, dass die Transportpolizei im stetigen Austausch mit der Kantonspolizei Glarus und in engem Kontakt mit den zuständigen Behörden sei. Falls nötig, könne so das Sicherheitspositiv in Absprache mit der Kantonspolizei rasch angepasst werden. Die Sicherheit in den Zügen und Bahnhöfen der SBB sei in Glarus wie in der übrigen Schweiz stabil.
5 Wer hilft den Menschen der Glarner Bahnhofsszene?
Hilfe könnten Suchtkranke unter anderem bei der Sozialberatung der Sozialen Dienste, die für alle Glarnerinnen und Glarner kostenlos sei, erhalten, sagt Hauri, Hauptabteilungsleiterin Soziales beim Kanton. Auch die Fachorganisationen Pro Infirmis und für Menschen ab 60 die Pro Senectute würden Sozialberatung anbieten. Möglicherweise hätten einige der Bahnhofsszene bereits eine Beistandsperson, mit welcher sie sich überall tref-fen könnten. Die Beratungs- und Therapiestelle Sonnenhügel in Glarus biete zudem ambulante Psychotherapie und auch Suchtberatung an.
Am Bahnhof Glarus seien aber keine Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor Ort, sagt Hauri. Dies werde mit dem an der Landsgemeinde 2024 verabschiedeten Sozialhilfegesetz ab dem 1.Januar 2025 grundsätzlich möglich sein. Aus Sicht des Kantons könnte die aufsuchende Sozialarbeit eine Massnahme gegen die Suchtproblematik am Bahnhof Glarus sein, so Hauri. Ein Pilotprojekt stehe aber noch am Anfang. Zurzeit sei der Kanton mit den drei Standorten der Sozialdienste in jeder Gemeinde gut versorgt.
* Name der Redaktion bekannt.
Die Drogenszene am Bahnhof gehört zu Glarus. Wir haben bei Polizei und Kanton nachgefragt: Wie gross ist sie, wie gefährlich – und macht jemand etwas dagegen? Das Wichtigste in fünf Punkten.
«Früher wurde Heroin konsumiert, heute vermehrt Kokain und Marihuana.»
Rolf Gubser,
Chef der Glarner Kriminalpolizei