Orban-Besuch entfacht politischen Boxkampf im EU-Parlament
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mehrere Europaabgeordnete haben sich mit Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbans einen heftigen Schlagabtausch im Europaparlament geliefert.
Die Vorwürfe: Vetternwirtschaft, Missbrauch von EU-Geldern und Ungarn als Einfallstor für russische und chinesische Interessen. Orban kritisierte in Strassburg die aus seiner Sicht gescheiterte EU-Migrationspolitik. In Kritik der Rednerinnen und Redner – die unter anderem aus den Reihen der Christlichdemokraten, Liberalen, Sozialdemokraten kam – sieht er Lügen und Propaganda. «Es ist eine Art Intifada, die hier organisiert wird», so der Regierungschef.
Von der Leyen geht hart mit Orban ins Gericht
In ihrem knapp zehnminütigen Redebeitrag brachte von der Leyen eine Attacke nach der nächsten: Die ungarische Regierung habe Schleuser vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, Russen ohne zusätzliche Sicherheitschecks ins Land gelassen und der chinesischen Polizei erlaubt, in Ungarn zu arbeiten. «Das ist keine Verteidigung der Souveränität Europas. Das ist eine Hintertür für ausländische Einmischung», sagte die deutsche Spitzenpolitikerin. Orban werfe seine Probleme nur seinen Nachbarn über den Zaun.
Damit äussert von der Leyen weitgehend dieselbe Kritik, die auch aus den Reihen grosser Fraktionen zu hören war. In den kommenden Wochen ist die CDU-Politikerin noch auf deren Unterstützung angewiesen, damit das Parlament grünes Licht für ihren Vorschlag für die Besetzung der zukünftigen EU-Kommission gibt.
Die Europäische Kommission, Nichtregierungsorganisationen und Europaabgeordnete werfen Ungarn schon länger vor, europäische Werte zu verletzen. Kritisiert werden unter anderem mangelnde Rechtsstaatlichkeit und die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Jüngst hatte der EuGH geurteilt, dass sich Ungarn nicht an EU-Recht hält und eine Millionenstrafe verhängt.
Beziehung zu Russland in der Kritik
Von der Leyen warf Orban indirekt vor, sich nicht an sein Wort zu halten. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine hätten alle Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, sich unabhängiger von russischer Energie zu machen und Alternativen zu suchen. Insbesondere ein Mitgliedstaat habe jedoch nur nach Alternativen Ausschau gehalten, wie es weiter russische Energie kaufen könne.
Orban griff Kritiker auch namentlich an. Den deutschen Abgeordneten Daniel Freund (Grüne) bezeichnete Orban in seinem Abschlussstatement als den «korruptesten Menschen auf dieser Erde», weil er für Berichte über Ungarn Geld des jüdischen US-Milliardärs George Soros nutze. Die ungarische Regierung macht immer wieder Stimmung gegen den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden Soros, auch mit antisemitischen Stereotypen. Freund ist einer der vehementesten Gegner Orbans im EU-Parlament. Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sieht in Orban einen «nützlichen Idioten Chinas» und Russlands der gegen die Interessen der EU agiere. «Die Mehrheit der EU-Abgeordneten sieht in Orban nur noch einen korrupten Möchtegern-Autokraten.»
Orban setzt Migration als Schwerpunkt
In seiner Auftaktrede forderte Orban als Reaktion auf «illegale Migration» in die EU regelmässige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Schengenstaaten. Es bestehe das Risiko, dass der eigentlich grenzkontrollfreie Schengen-Raum auseinanderbreche. An ihm beteiligen sich derzeit 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Konkret will Orban Asylverfahren künftig in Staaten ausserhalb der EU in externen «Hotspots» durchführen lassen.
Illegale Migration führe zu wachsendem Antisemitismus, wachsender Gewalt gegen Frauen und wachsender Homophobie, behauptete Orban. Der seit Jahren wachsende Migrationsdruck sei eine signifikante Belastung – insbesondere für Mitgliedstaaten mit einer EU-Aussengrenze. Das aktuelle europäische Asylsystem funktioniere einfach nicht.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwiderte in einer Rede, jeder verstehe, dass die Migration eine europäische Herausforderung sei, die eine europäische Lösung erfordere. Dafür gebe es aber das neue Migrations- und Asylpaket, das nun umgesetzt werden müsse.