Nach dem Rückschlag die Herausforderung
Loïc Meillard meldet mit überzeugenden Leistungen in der zweiten Hälfte der letzten Saison Ambitionen an. Der neuerliche Rückschlag zu Beginn dieses Winters soll an den Zielen nichts ändern.
Es sind Bilder mit Langzeitwirkung, Bilder, die es so nicht sehr oft gibt im alpinen Skirennsport. Von Loïc Meillard gibt es gleich zwei davon im vergangenen Winter, ja sogar drei. Von Meillard, der während der Fahrt einen Ski verliert, der von der neuen, selber mitentwickelten Bindung im Stich gelassen wird. Im Riesenslalom in Sölden und in Adelboden, dann auch im Abfahrtstraining in Wengen. Bilder von einem, dem Bilder etwas bedeuten, der die Fotografie zu seiner zweiten grossen Leidenschaft gemacht hat, der Momente festhält, die ihm erlauben durchzuschnaufen, stillzustehen, etwas Abstand zu gewinnen.
«Auch weniger erfreuliche Bilder gehören dazu. Auch sie sind Teil der Geschichte», sagt Meillard. Er meint nicht die Schnappschüsse aus der letzten Saison. Er spricht von Fotos, die ihn Ende Oktober wiederum auf dem Rettenbach-Gletscher oberhalb von Sölden zeigen mit traurigem Blick, nach der Erkenntnis, dass die Rückenschmerzen zu stark sind für einen Start beim Auftakt in den Weltcup- und WM-Winter. Die Fotos hat seine Familie geschossen, unter anderen seine Schwester Mélanie.
Das Malheur ist beim Einfahren passiert. Untersuchungen in der Klinik Hirslanden in Zürich fördern noch am selben Tag einen Riss in der Hülle der Bandscheibe zwischen Wirbel L5 und S1 zutage. Meillard sagt auch, dass das zwölf Monate zuvor Erlebte ihm geholfen hat, den neuesten Rückschlag zu verarbeiten. Das hat ihm umso mehr geholfen, zumal die Situation neu ist für ihn; vor gravierenderen körperlichen Schäden ist er bisher weitgehend verschont geblieben. In seiner dünnen Krankenakte hat er eine vor knapp acht Jahren erlittene Meniskus-Verletzung stehen.
Ski weg, Vertrauen weg
Mit den Ski verlor Meillard im Vorwinter auch das Vertrauen. Es dauerte, bis er wieder bereit war, befreit zu fahren, ans Limit zu gehen. Die steten Fragen nach dem Selbstvertrauen nagten an ihm. «Das macht müde. Das kostet Energie.» Es dauerte bis in die zweite Saisonhälfte, die dann umso erfolgreicher war für ihn, in der er zwei Rennen gewann, viermal Platz 2 und einmal Rang 3 belegte. Die gesammelten Punkte hievten ihn in der Weltcup-Gesamtwertung auf Platz 2 hinter Marco Odermatt. Mit Verzögerung war der Hochbegabte den Ansprüchen, auch den eigenen, doch noch gerecht geworden.
Das Hoch hat angenehme Nebenwirkungen. Sie bringen Gelassenheit, sie nehmen Druck von Meillards Schultern. Der Erfolg hat das Selbstvertrauen und das Vertrauen ins Material zurückgebracht. Beruhigendes hat auch die Heilung im Rücken, die im erhofften Mass fortgeschritten ist. Meillard hat gleichwohl betreffend den Start im ersten Weltcup-Slalom des Winters in Levi nicht überstürzt entschieden, sich auch diesbezüglich Zeit gelassen. «Ein Start macht aber nur Sinn, wenn ich im Training zwischen den Toren keine Schmerzen mehr verspüre», hat er Anfang Woche gesagt. Am Freitag hat er ausrichten lassen, dass er das Rennen in Finnland am Sonntag bestreiten wird.
Meillard hat erneut Tag für Tag genommen – so hat er es immer gehalten, so behält er es in seinem beruflichen Alltag bei, so beschreibt er auch seinen Weg, wenn ein mögliches Duell mit Odermatt um die grosse Kristallkugel thematisiert wird. Der Innerschweizer nennt Meillard mit Blick auf die neue Saison seinen grössten Widersacher.
Gedanken an die Möglichkeit, aus dem überlangen Schatten Odermatts treten zu können, blendet Meillard aus. Das vornehmlich auf den Nidwaldner gerichtete Scheinwerferlicht beschäftigt ihn ebenso wenig wie die Frage nach möglicherweise fehlender Anerkennung. «Ich übe diesen Sport aus, weil ich es will, weil ich es mag, weil ich es liebe. Das ist für mich wichtig.»
Er richte seinen Fokus auf die einzelnen Rennen, sagt Meillard auch. Das eine ergebe das andere. «Wenn ich jeweils vorne dabei bin, ist das auch im Gesamtweltcup möglich.» Ja, er sei bereit für die Herausforderung. Ja, er sei überzeugt, dass er auch Odermatt bezwingen könne. «Als Athlet glaubst du an deine Chance. Dafür trainieren wir Sommer und Winter.» Dem Umstand, dass der grosse Gegenspieler Teamkollege und guter Freund ist, misst Meillard keine Bedeutung bei. «Wenn ich am Start stehe, ist er ein Konkurrent wie jeder andere auch.»
Die Abfahrt muss warten
Wie Konkurrent, Teamkollege und Freund Odermatt gehört auch Meillard in drei Disziplinen zu den Besten. Riesenslalom, Slalom und Super-G hat er in seiner Agenda stehen. Daran soll sich in nächster Zeit auch nichts ändern. Die Abfahrt wird erst zum Thema an dem Tag, «an dem ich im Slalom meine Ziele erreicht habe oder ich eine neue Herausforderung brauche», sagt Meillard. Diese Ziele sind der Gewinn des Disziplinen-Weltcups und einer Medaille an einem Grossanlass.
Es sind Ziele eines Fahrers, dessen Potenzial noch längst nicht erschöpft ist, der seine Entwicklung stetig vorantreibt, der dafür auch seinen Fahrstil anzupassen versucht. «Seit zwei Jahren arbeite ich daran, die Tore direkter anzufahren.» Meillard ist gewillt, den Ruf des «Schönfahrers» abzustreifen, aggressiver zu Werke zu gehen.
Die Umstellung soll Langzeitwirkung haben. Und natürlich in Bildern festgehalten werden.