Scholz verliert das Vertrauen des deutschen Bundestags
Der Bundestag hat Kanzler Olaf Scholz das Vertrauen entzogen und damit den Weg zu einer Neuwahl in Deutschland am 23. Februar bereitet.
Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage votierten 207 Abgeordnete für Scholz, 394 gegen ihn, und 116 enthielten sich, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bekanntgab. Der Kanzler verfehlte damit wie beabsichtigt die notwendige Mehrheit von 367 Stimmen deutlich.
Scholz wird nun ins Schloss Bellevue fahren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Der hat dann 21 Tage Zeit zu entscheiden, ob er zustimmt und eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen ansetzt.
Da es im Bundestag eine grosse Einigkeit darüber gibt, dass die ursprünglich für den 28. September 2025 geplante Bundestagswahl vorgezogen werden soll, gilt die Zustimmung Steinmeiers als sicher. Er hat auch schon signalisiert, dass er mit dem angestrebten Termin 23. Februar einverstanden ist.
Scholz an Lindner: «Wochenlange Sabotage»
Die Debatte vor der Abstimmung war schon rundum vom Wahlkampf bestimmt. Scholz nutzte seine Rede für eine harte Attacke gegen die FDP. Die «wochenlange Sabotage» der Liberalen unter Parteichef Christian Lindner habe nicht nur der «Ampel»-Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. «In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.»
Scholz’ «Ampel»-Koalition war am 6. November im Streit um die Schuldenbremse zerbrochen. Scholz hatte damals Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner entlassen, der sich gegen eine Aussetzung der Schuldenbremse gewehrt hatte.
Mit der Vertrauensfrage selbst beschäftigte Scholz sich in seiner knapp 30-minütigen Rede nur kurz. Es gehe darum, dass die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs Deutschlands neu vorgeben könnten. «Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler.» Den grössten Teil seiner knapp halbstündigen Rede nutzte Scholz dann auch dafür zu erläutern, mit welchem Programm er die Wähler überzeugen will, für die SPD zu stimmen.
Merz an Scholz: «Sie blamieren Deutschland»
CDU/CSU-Fraktionschef und – Kanzlerkandidat Friedrich Merz nannte die Attacke auf Lindner in seiner Erwiderung eine «blanke Unverschämtheit». Im Gegenzug warf der Oppositionsführer Scholz vor, das Land in einer der grössten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte zu hinterlassen und auf EU-Ebene versagt zu haben. «Sie blamieren Deutschland», sagte er. Es sei «zum Fremdschämen», wie der Kanzler sich in der Europäischen Union bewege.
Lindner an Scholz: Will keinen «Prinz Karneval» als Kanzler
Auch Lindner konterte mit einem Gegenangriff auf die Wirtschaftspolitik des Kanzlers, die am tiefgreifenden Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit vorbeigehe. Als Beispiel nannte Lindner die gerade erst von Scholz vorgeschlagene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. «Der Prinz Karneval, der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um populär zu werden. Aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden.»
Einziger Neuwahl-Hebel des Kanzlers
Scholz wurde von seiner Frau Britta Ernst in den Bundestag begleitet. Die Vertrauensfrage ist für ihn die einzige Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen. Er hatte diesen Schritt bereits am 6. November unmittelbar nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition angekündigt, wollte sie aber eigentlich erst im Januar stellen, was auf Neuwahlen einen Monat später hinausgelaufen wäre.
Seitdem führt Scholz eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Ohne Unterstützung aus der Opposition kann sie nichts mehr durchsetzen.
Drei AfD-Abgeordneten wollten für Scholz stimmen
Wie viele der 207 Ja-Stimmen aus der SPD kamen, wird sich erst zeigen, wenn das Stimmverhalten der einzelnen Abgeordneten am späteren Nachmittag veröffentlicht wird. Es ist zwar genau die Zahl der SPD-Abgeordneten. Es waren aber Stimmen aus der AfD für Scholz erwartet worden.
Die Grünen-Fraktionsspitze hatte ihren 117 Parlamentariern dagegen eine Enthaltung empfohlen. Damit wollte sie ausschliessen, dass Scholz etwa durch Stimmen der AfD unbeabsichtigt doch noch eine Mehrheit bekommt.
AfD-Chefin Alice Weidel sagte vor der Abstimmung, dass drei Abgeordnete ihrer Fraktion für Scholz stimmen wollten. Diese sorgten sich «um einen Kriegskanzler Friedrich Merz», der damit zündele, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel. Namen nannte sie nicht. Nach dpa-Informationen handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge ausserdem enthalten.
Steinmeier: «Wir wollen jetzt nicht huddeln»
Bundespräsident Steinmeier will in den nächsten Tagen zunächst Gespräche mit allen Fraktionen und Gruppen im Bundestag führen, in dem insgesamt acht Parteien vertreten sind. Es ist die Aufgabe des Bundespräsidenten zu prüfen, ob es andere Möglichkeiten gibt, eine stabile Regierung zu bilden. Das sei «gute Staatspraxis in Deutschland», sagte Steinmeier in einem am Wochenende veröffentlichten ARD-Interview. «Wir sollten jetzt nicht huddeln. Die Hektik der Tagespolitik und die Schlagzahl der Medien gibt jetzt nicht das weitere Verfahren vor, sondern die Verfassung und ihre Regeln.»