Pensionisten statt Babyboom – Wie China mit der Alterung kämpft
Über Jahrzehnte versuchte China, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren. Nun wird die Gesellschaft immer älter. Peking muss deshalb zu einer unpopulären Massnahme greifen.
In der «glücklichen Stadt» steht Spielen weiterhin auf dem Stundenplan. Doch die Mitspieler sind seit Kurzem andere. Am Nordrand von Chinas Hauptstadt Peking fällt das kleine zweistöckige Seniorenheim Yuecheng (Chinesisch für glückliche Stadt) zwischen hoch aufragenden Wohnblöcken kaum auf. Doch die Einrichtung ist Sinnbild für ein gravierendes Gesellschaftsproblem. Dort, wo seit November Pensionistinnen und Pensionisten gepflegt werden, war zuvor ein Kindergarten.
«Viele Kindergärten sind nun geschlossen, weil die Geburtenrate gesunken ist», sagt Heimleiterin Zhao Tingyan. Dass sie zu Seniorenheimen umfunktioniert werden, weil kaum noch Kinder angemeldet werden, ist ein landesweiter Trend. Eine «rationale Entscheidung des Marktes», titelte die staatliche Zeitung «Beijing News» im April. Demnach schlossen in China allein 2023 rund 14’800 Kindergärten.
Kindergärten erleben Nachfrage-Tief
Im Heim Yuecheng stehen 46 Betten. Die Pflege dort kostet monatlich zwischen 7000 und 8000 Yuan, also rund 1000 Euro. Das private Unternehmen sucht laut Leiterin Zhao gezielt in Wohnvierteln nach vergleichbaren Immobilien.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Geburten in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt, während immer mehr Menschen das Pensionistenalter erreichen. Die Überalterung stellt die Volksrepublik vor gravierende Probleme. China verliert dadurch zunehmend Arbeitskräfte, was die Wirtschaftsleistung zu belasten droht. Experten hatten deshalb schon länger eine Anpassung für den Pensionsbeginn als unausweichlich betrachtet. Doch die Staatsführung hatte die Regelung jahrzehntelang unberührt gelassen. 2024 entschloss sie sich dann zu dem im Volk erwartbar unbeliebten Schritt und hob das Pensionsantrittsalter an.
Bevölkerungsschwund erwartet
Ab dem 1. Januar 2025 steigt das Pensionsalter nun schrittweise über die folgenden 15 Jahre für Männer von 60 auf 63 Jahre. Bei Frauen, für die bisher je nach Berufsgruppe zwei Pensionsantrittsalter galten, erhöht sich die Grenze entweder von 50 auf 55 Jahre oder von 55 auf 58 Jahre.
Es habe sich nun das Fenster für die Reform geöffnet, sagte Demografie-Experte Du Peng bei einem Vortrag Ende September in Peking. Ihm zufolge erlebt das Land mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern jetzt einen Pensionsboom. In den kommenden Jahren werden die «Babyboomer» – jene Menschen der geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er Jahren – in Pension gehen. Bis 2050 dürften Du zufolge 520 Millionen Menschen in China 60 Jahre oder älter sein – und das bei einem erwarteten Bevölkerungsschwund.
China gehört zu den Staaten mit der niedrigsten Geburtenrate
Zudem belastet die Alterung zunehmend die öffentlichen Kassen. Jeden Monat erhielten derzeit 300 Millionen Menschen eine Rente, sagt Du. 1951 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei ungefähr 44 Jahren und damit unter dem Renteneintrittsalter. Mittlerweile werden die Chinesen allerdings im Schnitt 78 Jahre alt und damit fast so alt wie die Deutschen (78,2 Jahren bei Männern und 83 Jahren bei Frauen).
Parallel kommen in China immer weniger Kinder auf die Welt, und das, obwohl vor knapp zehn Jahren die Ein-Kind-Politik geendet hat, mit der Peking über Jahrzehnte das Bevölkerungswachstum kontrollierte. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass 2022 1,1 Neugeborene auf eine Frau im gebärfähigen Alter kamen. Offizielle Statistiken geben die Geburtenrate für 2023 mit 6,39 Geburten je 1.000 Einwohner an. Ein Jahr zuvor lag der Wert noch bei 6,77 Geburten. China zählt damit zu Staaten wie Japan oder Südkorea mit den weltweit niedrigsten Quoten.
Für Kinder fehlt vielen das Geld
Die Gründe sind vielschichtig: Viele junge Menschen sind arbeitslos oder verdienen wenig. Zudem bröckelt das traditionelle Familienbild. Viele Paare entscheiden sich lieber für ein Haustier statt ein Kind. Denn die Kosten für Bildung in den Städten steigen seit Jahren deutlich. Immer weniger Paare können oder wollen sich deswegen Kinder leisten. «Wenn man in China sein Kind auf eine gute Schule schicken will, muss man Beziehungen haben und Geld ausgeben», sagt Altenheim-Leiterin Zhao. Die Kosten dafür müsse jeder selbst tragen.
Peking versuchte es mit Propaganda: Ende Oktober 2023 verlangte Staats- und Parteichef Xi Jinping, «die Perspektiven junger Menschen zu Heirat, Kinderkriegen und Familie» zu stärken, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua damals berichtete. Die Politik zur Unterstützung von Geburten sollten Frauenverbände umsetzen. Für Kritiker hiess das: Frauen sollen lieber zu Hause bleiben und Kinder bekommen.
Anrufe von Behörden
Rund ein Jahr später äusserten sich Frauen öffentlich, von Behörden angerufen und gefragt worden zu sein, ob sie schwanger seien. Die Beamten hätten mitunter sogar Vorschläge für einen passenden Empfängniszeitraum gemacht, berichteten mehrere Medien.
Was sicher besser ankam, war die Ankündigung der Regierung Ende Oktober, die Kosten für Geburten, Erziehung und Bildung zu senken. Peking wolle eine «neue Kultur des Kinderkriegens und Heiratens» schaffen und eine positive Einstellung zu Ehe und Familie fördern, teilte der Staatsrat mit. Steuervorteile und Zuschüsse bei Geburten sollten Paare dazu animieren, Kinder zu bekommen.