Die Tessiner wollten den Rivalen kopieren, und scheitern kläglich
Der HC Lugano wollte ruhiger, bescheidener und bodenständiger sein. Nun droht den stolzen Tessinern die schlechteste Klassierung seit der Rückkehr in die höchste Spielklasse.
Calvin Thürkauf steht in den Katakomben der Bieler Arena und muss am späten Dienstagabend tun, was halt auch in seinem Pflichtenheft als Captain steht: Erklärungen liefern für eine weitere Niederlage seines HC Lugano. Einen entscheidenden Fehler zu viel gemacht, hätten sie, sagt der 27-Jährige und spricht vom Puckverlust, den der EHC Biel gut zwei Minuten vor Spielende zum für ihn siegbringenden 2:1 ausnutzt. «Das darf uns nicht passieren.»
Bei den Ausführungen des Nationalspielers sind die wenigen Tessiner Medienschaffenden, die den weiten Weg vom Sottoceneri ins Seeland auf sich genommen haben, anderweitig beschäftigt. Wohl auch, weil sie Thürkauf in den letzten Wochen und Monaten bereits irgendwann einmal ähnliche Sätze in die Mikrofone haben diktieren hören. Gelegenheiten, sprich Niederlagen, dazu gab es genug.
Gianinazzi, der 19.
Nach 34 Runden steht der HC Lugano mit 42 Punkten an 13. Stelle der Tabelle der National League. Nur Ajoie hat in dieser Spielzeit bislang weniger Zähler gesammelt. Es ist ein ungewohntes Bild für einen Verein, der in seinem Selbstverständnis immer noch «grande» sein will. Ergo ein Spitzenteam, das um den Titel spielt und gewinnt. Das die Konkurrenz aus der Deutschschweiz und der Romandie mit begeisterndem Offensivhockey in die Schranken weist. Und ein Team, das die klare Nummer 1 im Kanton ist.
Im Moment, wie so oft in den letzten Jahren, klaffen diese Erwartungen und die Realität wieder weiter auseinander als das erste und das letzte Auto einer ellenlangen Staukolonne am Gotthard, wenn über Feiertage jeweils gefühlt die halbe Deutschschweiz nach der Wärme in der Tessiner Sonnenstube lechzt. Seit Lugano 2018 unter dem heutigen Ajoie-Coach Greg Ireland im Playoff-Final stand, hat es keine Playoff-Serie mehr für sich entschieden. Luca Gianinazzi ist der 19. Trainer seit 2006, der mit der Aufgabe betraut wurde, den HCL wieder dorthin zu führen, wo er eben damals zum bisher letzten Mal war: ganz oben. Harold Kreis coachte die Bianconeri damals zum siebten und bisher letzten Meistertitel.
Das Vertrauen des CEO
Gianinazzi weiss, dass Lugano nicht nur für Palmen und Sonne stehen soll, sondern auch für Erfolg. Schliesslich hat der 32-Jährige quasi sein ganzes Hockey-Leben in Lugano verbracht. Erst in der Juniorenabteilung als Spieler, dann als Trainer im Nachwuchs. Und seit dem 8. Oktober 2022 als Coach der ersten Mannschaft, als er für den entlassenen Chris McSorley nachrücken durfte.
Angesichts der sportlich unbefriedigenden Situation und im Wissen um die Fluktuation früherer Jahre auf dem Trainerposten scheint es doch einigermassen erstaunlich, ist Gianinazzi immer noch da. Doch der jüngste Coach der National League ist auch ein Sinnbild für einen Paradigma-Wechsel, den Präsidentin und Mäzenin Vicky Mantegazza vollzogen zu haben scheint. Die Milliardärin ist es leid, konstant mehrere Trainer auf der Lohnliste zu haben.
Stattdessen soll mit Einheimischen, die wie Gianinazzi eine tiefe Verbundenheit zum Klub haben, eine bessere Identifikation und dadurch auch mehr Kontinuität und Ruhe geschaffen werden. Es ist ein Modell, das ausgerechnet Kantonsrivale Ambri mit Coach Luca Cereda und Sportchef Paolo Duca seit nunmehr acht Saisons anwendet. «Wir wollen den Erfolg nicht erzwingen, sondern ihn aufbauen», sagte CEO Marco Werder einmal in der «NZZ». Und gegenüber dem «Blick» liess der 52-Jährige unlängst verlauten, dass der Klub nach wie vor vom Weg mit Gianinazzi überzeugt sei. «Uns war bewusst, dass irgendwann eine Krise kommt. Wir versuchen, ihm zu helfen, aus dieser herauszukommen.»
Domenichellis Druck
Doch in der Leventina sind die Ansprüche nicht annähernd so hoch wie in Lugano. Insofern bleibt fraglich, ob die Führungsriege der Bianconeri nicht doch irgendwann auf den gängigen Mechanismus des Trainerwechsels zurückgreifen wird, der früher längst zur Anwendung gekommen wäre. Gerade, wenn Lugano erstmals überhaupt seit der Rückkehr in die oberste Spielklasse 1982 schlechter klassiert sein sollte als auf Rang 10.
Eigentlich würde gerade in so einer Baisse interessieren, wie die sportliche Führung die Situation einschätzt. Doch Sportchef Hnat Domenichelli ist zurzeit im Ausland unterwegs und für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Es steht jedoch ausser Frage, dass auch der 48-jährige Kanadier unter Druck steht und einen Weg zum Erfolg finden muss. Nach Sami Kapanen, Serge Pelletier und Chris McSorley ist Luca Gianinazzi der vierte Trainer, den Domenichelli eingestellt hat, seit er im Mai 2019 das Amt des Sportchefs übernahm. Der frühere Flügelstürmer betonte mehrmals, dass Gianinazzi seine letzte Trainer-Verpflichtung sei. Es spricht also einiges dafür, dass auch Domenichellis Zeit beim HCL enden würde, sollte Gianinazzi einmal nicht mehr an der Bande stehen.
Törmänens Inputs
Doch aktuell steht er da noch, und mit ihm manchmal einer, den dort nur die wenigsten erwartet hätten: Antti Törmänen. Der frühere Meistertrainer des SC Bern, der den EHC Biel 2023 in den Playoff-Final führte, danach aufgrund einer neuerlichen Krebserkrankung aber zurücktreten musste, fungiert seit Anfang Dezember und nunmehr zehn Partien in seiner Rolle als «Senior Advisor». Der 54-jährige Finne steht der ersten Mannschaft und im Nachwuchs als Berater und Mentor zur Verfügung. Eine Massnahme, die sich durchaus bezahlt mache, findet Captain Thürkauf. «Es hilft extrem. Antti hat viel Erfahrung, die er unseren Trainern weitergeben kann.»
Diese Inputs hätten unter anderem zu Anpassungen im Spielsystem geführt, und die Struktur in den Spielzügen habe sich verbessert. Doch ungeachtet dieser positiven Tendenzen: Das Wichtigste, die Punkte, fehlen viel zu oft. Thürkauf sagt: «Wir müssen endlich anfangen, Spiele zu gewinnen. So können wir nicht weitermachen.»