Zwischen Materialproblemen, Rückenschmerzen und Triumphen
Loïc Meillard trägt als konstantester Slalomfahrer der Saison in Adelboden die rote Startnummer. Dabei muss der 28-Jährige in der jüngeren Vergangenheit so manchen Tiefschlag wegstecken.
6. Januar 2024: In der Zielarena am Fusse des Chuenisbärgli wird es an diesem nebligen Samstagvormittag nochmals laut. Loïc Meillard wird gleich in den steilen Zielhang einbiegen. Die Zwischenzeiten sind zwar rot, aber der Westschweizer ist auf bestem Weg, sich direkt hinter Überflieger Marco Odermatt einzureihen. Doch dann passiert es. Erneut. Meillard erwischt einen Schlag – und verliert einen Ski. «Ich bin an diesem Tag sehr tief gefallen. Sämtliche Hoffnungen haben sich im Bruchteil einer Sekunde aufgelöst», sagt Meillard in der SRF-Doku-Serie «Der Ski-Zirkus».
Die fehlende Bindung zum Ski
Es war nicht das erste Mal, dass Meillard dieses Malheur widerfuhr. Bereits in Sölden versagte die Bindung, ein Prototyp, den der Athlet gemeinsam mit Ausrüster Rossignol entwickelt hat. «Man verliert in zwei Rennen das Selbstvertrauen und braucht zehn, um es wieder zurückzugewinnen. Das erfordert viel Arbeit und Zeit. Aber man muss einen Schlussstrich ziehen und nach vorne blicken.»
Ein Jahr ist seit dem Malheur in Adelboden vergangen. Das Vertrauen ist längst zurück, die Materialprobleme sind Vergangenheit. Anpassungen und ein Schritt zurück haben die gewünschte Wirkung gezeigt. «Es hilft generell, wenn du weisst, wie mit deinen Problemen umzugehen und Lösungen zu finden», sagt Meillard und fügt an, es seien die weniger guten Momente, in denen man am meisten über sich selbst lerne.
Vernunft siegt über Ehrgeiz
Schneller als erhofft muss Meillard das Gelernte anwenden. Denn auch zu Beginn dieses Winters werden seine Pläne über den Haufen geworfen, muss er einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Wieder passiert es in Sölden. Diesmal streikt nicht das Material, sondern der Körper. Nicht im Rennen, sondern bereits beim Einfahren. Er erwischt einen Schlag und verspürt solch starke Schmerzen im Rücken, dass er auf den Start verzichten muss.
Untersuchungen fördern einen Riss in der Hülle der Bandscheibe zutage. Meillard muss das Training dosieren, sucht die Balance zwischen Wettkampfmodus und Regeneration. Er beisst auf die Zähne. So wie kurz vor Weihnachten im Slalom in Alta Badia, wo nach einem äusserst starken zweiten Lauf die Freude über die neue Bestzeit kleiner ist als der Schmerz im Rücken.
In der Folge lässt Meillard die Speed-Rennen in Bormio aus. Ein Entscheid, der dem so Ehrgeizigen extrem schwerfällt – schliesslich geht es nicht nur um wertvolle Weltcup-Punkte, sondern werden auf der Piste «Stelvio» im kommenden Jahr auch die Olympischen Spiele ausgetragen. Statt im oberen Veltlin den Rückstand auf Teamkollege und Rivale Marco Odermatt im Gesamtweltcup einigermassen in Grenzen zu halten, gönnt sich der seit langem im Wallis lebende Neuenburger ein paar ruhige Tage zuhause in Hérémence.
Ein Wechsel, der sich ausbezahlt
«Die Pause nach Weihnachten hat gutgetan», sagt Meillard. Es ist Donnerstagabend und er sitzt mit kerzengeradem Rücken im Teamhotel der Schweizer in Adelboden. Keine 24 Stunden zuvor fuhr er in Madonna di Campiglio als Zweiter auf das Podest. Zum vierten Mal im fünften Slalom der Saison. Eine nie dagewesene Konstanz im Stangenwald, in dem jeder noch so kleine Fehler das Ausscheiden bedeuten kann.
«Er war immer schnell und stark», sagt Matteo Joris, Slalom-Cheftrainer bei Swiss-Ski. «Aber im Slalom ist auch vieles mental. Geholfen hat Loïc sicherlich das erste gute Ergebnis in Levi, als er ohne Erwartung und Druck gestartet ist.» Geholfen hat ihm auch Joris selbst.
Vor zwei Jahren wechselte Meillard die Trainingsgruppe. Er verliess jene von Helmut Krug mit Marco Odermatt und schloss sich den Slalomfahrern an. Einige sahen darin eine Flucht vor dem Dominator der vergangenen Jahre, dem Meillard so gerne Paroli bieten würde im Gesamtweltcup. Er selbst widerspricht: «Ich fuhr als einziger der Trainingsgruppe Slalom und brauchte deshalb stets noch die eine oder andere Extrawurst. Das ist keine einfache Situation.» Der Wechsel der Trainingsgruppe habe ihm geholfen, die Qualität im Slalom zu verbessern.
Am Samstag geht Meillard als Führender in der Disziplinenwertung an den Start. «Zuhause die rote Nummer zu tragen, ist wirklich genial. Ich freue mich auf das Wochenende», sagt er. Am Sonntag steht am Chuenisbärgli der schwierigste Riesenslalom des ganzen Winters im Programm. Zwei herausfordernde Rennen für einen nach wie vor angeschlagenen Rücken. Doch auch für dieses «Problem» wird der 28-Jährige eine Lösung finden. Der Perfektionist hat schliesslich noch eine Scharte auszuwetzen.