Wie Giorgio Contini den Meister wieder nach oben führen will
Trainer Giorgio Contini soll den Young Boys nach einer schwierigen ersten Saisonhälfte wieder zu alter Stärke verhelfen.
Seit gut einem Monat ist Giorgio Contini YB-Trainer. Der 51-jährige Winterthurer hat sich die Rückkehr in den Klubfussball mit seiner Arbeit als Assistent von Nationaltrainer Murat Yakin verdient. Eine Wohnung in der Region Bern hat er noch nicht, hofft aber, irgendwo in der Nähe der Aare eine Bleibe zu finden, damit er mit seinem Hund spazieren gehen oder mit dem Mountainbike ausfahren kann.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht Contini über seine ersten Eindrücke bei den Young Boys, sein Sprachtalent, Berndeutsch-Kenntnisse und seine Spielidee. Er erzählt von einem Besuch bei Carlo Ancelotti, und er verrät, was er versuchen würde, sollte er einmal im Fussball keinen Job mehr finden.
Giorgio Contini, seit einem Monat sind Sie nun Trainer der Young Boys. Wie haben Sie sich im Wankdorf eingelebt?
«Sehr gut. Es ging gleich los mit den Trainings und dem Kennenlernen. Dazu konnten wir die zehn Tage im Trainingslager in Belek optimal nutzen.»
Worauf lag in der Türkei der Fokus?
«Es ist immer wichtig, wenn man über längere Zeit zusammen ist, dass man auch das Zwischenmenschliche im Vordergrund hat. Wie ticken die Spieler? Wo drückt der Schuh? Was für Gefühle haben sie? Wie ist der Gemütszustand der Mannschaft? Es ist sehr wichtig, dass sie sich wohl fühlen, damit das, was ich verlange, auch ankommt.»
Wie ist denn der Gemütszustand der Mannschaft?
«Für einen neuen Trainer ist es einfach. In einer Mannschaft gibt es immer zwei Lager. Diejenigen, die regelmässig gespielt haben und die, die nicht so viel zum Einsatz gekommen sind. Erstere wollen sich neu beweisen, und zweitere erhoffen sich durch einen Trainerwechsel eine neue Chance. Das kreiert automatisch eine Dynamik in einer Mannschaft. Die Spieler sind sehr offen und wissbegierig. Sie saugen die Informationen auf. Das ist aber nichts Atypisches nach einem Trainerwechsel.»
Mit der Nationalmannschaft machten Sie mit dem Team mal zwecks Teambuilding einen Segeltörn am Bodensee. Belek liegt am Mittelmeer. Sind Sie auch wieder in See gestochen?
«Nein. Wir hatten keine Zeit, Teamevents zu machen. Mir war vor allem wichtig, dass wir Zeit zusammen verbringen, dass wir Videostudium machen, von den Testspielen, aber auch zur Analyse unserer Trainings. Damit die Ideen, die ich in die Mannschaft bringe, mit dem korrespondieren, was die Spieler leisten können.»
In Ihrer Karriere haben Sie mit Vaduz, Lausanne, St. Gallen und GC noch nie eine Spitzenmannschaft trainiert. Das ist jetzt bei YB anders. Spüren Sie das?
«Ich bin ein sehr ambitionierter Mensch. Das heisst, ich habe meine Ambitionen immer hoch gesteckt, mit den Voraussetzungen, die ich angetroffen habe. Wenn ich mit Lausanne und Vaduz den Aufstieg und den Ligaerhalt schaffe, ist das von meiner Ambition her nicht anders als jetzt mit YB, wo ich auch das Beste herausholen will. Was jetzt natürlich anders ist, ist die Erwartungshaltung. Die ist gross. YB hat in den letzten Jahren regelmässig um den Meistertitel gespielt und im Europacup teilgenommen. Das macht die Aufgabe natürlich etwas grösser, aber auch spannender für mich.»
Müssen Sie bei Ihrer Herangehensweise etwas umstellen?
«Nein. Ich denke, es ist der grösste Beweis dafür, wenn ich von Nationalspielern wie kürzlich von Granit Xhaka öffentlich ein Lob bekomme, dass meine Arbeitsweise auf höchster Ebene funktioniert. Es gibt somit Gründe, authentisch zu sein und mir treu zu bleiben, weil es zeigt, dass der Weg, den ich in den letzten Jahren gegangen bin, der richtige ist.»
Inwiefern helfen Ihnen die Erfahrungen in Lausanne und bei GC, wo Sie jeweils in einem schwierigen Umfeld mit ausländischen Investoren arbeiteten?
«Das sind Erfahrungen, die einen weiterbringen. Jeder Verein und jede Struktur helfen dir dabei, resilienter zu werden und dir deinen Weg zu erarbeiten. Ich möchte die Zeit nicht missen. Im Gegenteil. Ich habe sie als Herausforderung betrachtet, die mir in meinem Trainerprofil viel gegeben hat.»
Bei den Grasshoppers haben Sie Ihren Job selber gekündigt und waren dann über acht Monate arbeitslos. Kamen in dieser Zeit nie Zweifel auf, ob Sie noch einmal eine Chance als Cheftrainer erhalten würden?
«Nein. Ich treffe Entscheide stets mit klarem Kopf, und mir war klar, dass sich in der Super League nicht reihenweise Klubs melden und mir einen Job anbieten werden. Aber ich war immer überzeugt, dass ich Möglichkeiten zum Arbeiten finden werde. Ich habe ja eine ‘Zürischnorre’, also im schlimmsten Fall wäre ich halt bei Regenwetter Schirme verkaufen gegangen (lacht).»
Wie haben Sie YB in dieser schwierigen Hinrunde verfolgt?
«Als Nationaltrainer ist der Fokus ein anderer als bei einem Klubtrainer. Er liegt mehr auf einzelnen Spielern. Aber ich habe YB sowohl im Wankdorf als auch auswärts gesehen. Ich kenne die Qualität dieses Teams, und einige Spieler durfte ich auch schon im Nationalteam erleben. Es ist sicher atypisch, wie die Saison bisher verlaufen ist. Und als neutraler Beobachter mit einer gewissen Distanz ist es schwierig zu sagen, warum und wieso. Jetzt ist es aber anders. Jetzt kann ich direkt Einfluss nehmen.»
Gab es etwas, das Sie überraschte, als Sie in Bern angefangen haben?
«Nein. Ich habe gewusst, dass YB ein Verein ist, der klare Strukturen hat, die professionell sind, dass viel Fachkompetenz und ein klarer Weg da ist. Und dass YB als Verein Werte vertritt, die zu mir passen. Ich wäre wohl nicht auf der Liste der möglichen YB-Trainer gestanden, wenn es da nicht eine gewisse Übereinstimmung geben würde zwischen dem Verein und mir als Trainer, aber auch als Mensch.»
Inwiefern wirkte Ihre Tätigkeit als Assistent von Murat Yakin im Nationalteam als Türöffner?
«Es hat sicher mein Profil geschärft. Mit diesen Spielern auf internationalem Niveau zu arbeiten und die Gegneranalyse zu machen, die in meinen Aufgabenbereich fiel, hat mir viel zusätzliches Knowhow gegeben. Und die Aufmerksamkeit, die während einem Turnier wie der EM auf einem Team liegt, hat auch an mir als Trainer ein grösseres Interesse geweckt.»
Ein wichtiges Kriterium für einen YB-Trainer ist Sprachkompetenz. Sie sprechen fünf Sprachen. Wann haben Sie diese gelernt?
«Einerseits von den Eltern. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, mit Italienisch und Deutsch. Französisch habe ich in der Schule gelernt. Und während meiner Aktivzeit habe ich anderthalb Jahre in Lausanne gespielt. Dann habe ich zwar 15 Jahre nicht mehr oft Französisch geredet, es aber immer praktiziert, weil mir Sprachen einfach liegen. Dann natürlich auch, als ich in Lausanne Trainer wurde.»
Und Spanisch und Englisch?
«Spanisch habe ich von Argentiniern und anderen Latinos in der Mannschaft gelernt. Mir ist wichtig, mich mit den Leuten unterhalten zu können, mit denen ich zusammen bin, und mir fällt es zum Glück leicht, Sprachen zu lernen. Englisch wiederum lernte ich auch in der Schule, aber das habe ich dann vor allem auch bei GC praktizieren können, wo die Kommunikation fast ausschliesslich in Englisch stattfand.»
Gibt es eine Sprache, die Sie noch gerne lernen würden?
«Nein, aber es gibt sicher Sachen, die ich gerne perfektionieren würde. Das perfekte britische Englisch mit dem britischen Akzent tönt schon cool, wenn ich das in Interviews höre. Aber dafür fehlt jetzt die Zeit. Jetzt bin ich am Berndeutsch lernen (lacht).»
Haben Sie schon etwas aufgeschnappt?
«Ich verstehe viel. ‘Äuä scho’ (lacht).»
Mit Gerardo Seoane holte ein sprachaffiner Trainer mit YB drei Meistertitel und einen Cupsieg. Ein gutes Omen für Sie?
«Ich hoffe, dass es ein gutes Omen für YB ist. Aber man darf das nicht vermischen. Es war eine andere Zeit. Es waren andere Spieler da. YB hat sich in den letzten Jahren auch verändert. Es hat jetzt viele junge, talentierte Spieler. Entsprechend braucht es auch etwas mehr Geduld als früher, wo Spieler wie Guillaume Hoarau oder Jean-Pierre Nsame die Meisterschaft prägten. Aber die Empathie ist sicher eine Parallele zu Seoane. Dass ich versuche, die Spieler mit der Sprache in die richtigen Bahnen zu lenken.»
Haben Sie das auch von Carlo Ancelotti mitbekommen, den Sie während Ihrer Pause in Madrid besuchten?
«Was mich bei Ancelotti vor allem beeindruckt hat, ist die Art, wie er eine Mannschaft führt. Es war mir wichtig, das einmal auf dem Platz zu sehen, und es bestätigt Werte, die ich auch leben will. Nämlich, dass der Mensch vor dem Fussball kommt. Wenn der Mensch im Vordergrund steht, wird auch der Fussballer funktionieren. Empathie hat einen grossen Einfluss auf die Leistung von Sportlern.»
Sie haben jetzt einen Eindruck Ihrer Mannschaft gewonnen. Gibt es Mannschaftsteile, wo Sie personell Handelsbedarf sehen?
«Ich ging von Anfang an mit der Einstellung an die Aufgabe heran, dass alle eine faire Chance verdient haben und ich mir die Zeit nehme, alle kennenzulernen. Es braucht einen guten Austausch zwischen der sportlichen Führung und dem Trainer. Diesen erlebe ich als sehr positiv. Optimierungen sind immer gewünscht. Aber da werden erst die nächsten Wochen zeigen, ob Anpassungen nötig sind.»
Mit Christian Fassnacht kehrte ein Spieler mit sehr erfolgreicher YB-Vergangenheit aus England zurück. Was erhoffen Sie sich von ihm?
«Er ist auf menschlicher Ebene sehr wichtig, kann sehr viele Verbindungen schaffen innerhalb der Mannschaft und hat ein gutes Gespür. Wenn er sich dann vollständig von seiner muskulären Verletzung erholt hat, wird er mit seiner Erfahrung auch auf dem Platz wichtig sein.»
Was schwebt Ihnen taktisch und spielerisch vor mit diesem Team?
«Es ist immer auch eine Zeitfrage. Wenn wir etwas einstudieren wollen, das die Spieler noch nicht in petto haben, braucht es Zeit. Also müssen wir ein Gleichgewicht finden zwischen der verfügbaren Zeit und den Resultaten. Aber ich habe schon Inputs gegeben. Beispielsweise, dass wir Lösungen mit dem Ball haben, dass wir in Ballbesitz wieder kreativer sind. Das würde ich gerne sehen. Aber ich weiss, dass das nicht von heute auf morgen geht. Deshalb müssen wir uns erst auf die gewohnten Stärken verlassen und mit positiven Resultaten unser Selbstvertrauen stärken.»
An welche Stärken denken Sie?
«Pressing gehört zu YB, und an dieser DNA wollen wir nicht rütteln. Wir wollen eine Mannschaft sein, die Druck macht, die im Gegenpressing und im Umschaltspiel gut ist. Dieses Spiel passt auch zum Kader, das schnelle Spieler und solche mit viel physischer Präsenz vereint. Daran werden wir sicher festhalten.»