So denkt das Dorf Richterswil seine traditionelle Räbechilbi neu
Wie gross darf die Räbechilbi in Richters wil noch werden? Schon im Jahr 2000 erhielt sie einen Eintrag im «Guinnessbuch der Rekorde» als grösster Räbenlichterumzug der Welt. Mit 23000 Besucherinnen und Besuchern schrieb das Lichterfest im letzten November einen neuen Rekord. Für viele Richterswilerinnen und Richterswiler war das Mass damit übervoll. Die Räbechilbi zog mehr als doppelt so viele Menschen an, wie im Dorf wohnen. Die Besucherinnen und Besucher drängten sich in den engen Strassen im Ortskern. Sie standen so dicht, dass der Umzug mit den 47 Sujets immer wieder ins Stocken geriet.
Die Organisatoren zeigten sich zwar zufrieden mit der Räbechilbi 2024. Daniel Wohlwend, seit 20 Jahren Ressortleiter Räbechilbi beim organisierenden Verkehrsverein, bilanzierte: «Es verlief alles reibungslos.» Er merkte jedoch an, dass der Anlass grössenmässig eine Grenze erreicht ha-be: «Mehr Leute bringen wir nicht ins Dorfzentrum.»
Umfrage im Dorf wird lanciert
Der Verkehrsverein Richterswil will deshalb die Räbechilbi fit für die Zukunft machen. Er hat eine Onlineumfrage lanciert, um herauszufinden, was die Bevölkerung von Richterswil und Samstagern denkt, wie Andrea Catellani, Kommunikationsbeauftragte des Verkehrsvereins, sagt. Die Umfrage markiert den Start des Projekts Räbechilbi 2030.
Der Verkehrsverein wolle den Brauch, der bis weit ins 19. Jahrhundert zurückgehe, bewahren, «aber es braucht Veränderungen», sagt Catellani. Was neu oder anders wird, sei völlig offen. «Wir wollen nichts vorwegnehmen », hält sie fest. Offensichtlich sei, dass die Räbechilbi eine Antwort auf die grosse Menschenmenge finden müsse: «Die letzte Räbechilbi hat uns aufgezeigt, dass wir das Thema angehen müssen.» In der Onlineumfrage werden die Bewohnerinnen und Bewohner von Richterswil und Samstagern beispielsweise nach der Länge der Umzugsroute oder möglichen Alternativen wie einem Kreis- oder Sternumzug gefragt. Es geht um Themen wie einen Ticketverkauf oder eine Zutrittsbeschränkung. Zudem werden neue Ideen gesucht. Als Beispiele werden eine VIP-Tribüne, interaktive Installationen oder eine Sujet-Prämierung angeführt. Die Umfrage läuft bis Ende Februar. Sie richtet sich ausschliesslich an die Bevölkerung von Richterswil und Samstagern. «Die Räbechilbi ist in erster Linie ein Anlass von der Dorfbevölkerung für die Dorfbevölkerung», erklärt Andrea Catellani. Das soll so bleiben. Gäste sind weiterhin willkommen. Ihre Meinung holt die Arbeitsgruppe mit einer Befragung an der nächsten Räbechilbi ab.
Diesen Juni wird die Arbeitsgruppe zusammen mit Interessierten die gesammelten Meinungen an einem Workshop weiterentwickeln. In einem Jahr legt die Projektgruppe die Stossrichtung fest und definiert die Massnahmen. In der neuen Form wird die Räbechilbi 2026 erstmals durchgeführt und in den folgenden Jahren bis 2030 optimiert.
Brauchtum braucht Veränderung
Diesen Prozess muss der Verkehrsverein Richterswil nicht allein stem-men. Einerseits erhält er finanzielle Mittel vom Bundesamt für Kultur (BAK). Anderseits unterstützt ihn die freiberufliche Berner Organisationsberaterin und Kulturvermittlerin Katrin Rieder.
Sie ist Spezialistin für die Vermittlung von immateriellem Kulturerbe und erfahren in der Begleitung von Strategieprozessen sowie der Moderation von Workshops: «Ich unterstütze die Verantwortlichen vor Ort dabei, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Antworten auf die aktuellen Herausforderungen zu finden.» Sie sei zuversichtlich, dass in Richterswil der Brauch nicht verloren gehe und er seine Stärke bewahren könne. Für die Trägerschaft stelle sich jedoch die Frage, wie sich die Räbechilbi wandeln könne, «damit sie weiterhin eine Bedeutung für die Dorfbevölkerung hat und sich als Grossanlass nicht zu einer reinen Tourismusveranstaltung entwickelt ».
Es sei für jeden Brauch herausfordernd, sich in seiner eigenen Tradition weiterzuentwickeln, stellt Rieder fest. Die Räbechilbi habe sich schon früher verändert. So fand der Anlass einst am Sonntag und nicht wie heute am Samstag statt. Auch die Pandemie hinterliess Spuren. So werden seither die Sujets nach dem Umzug ausgestellt. «Jede Tradition muss von jeder Generation neu angeeignet werden», erklärt die Kulturvermittlerin. «Dadurch gibt es immer Veränderungen. Zu jeder Tradition gehört auch Innovation.»
Der Besucherrekord brachte die letztjährige Chilbi an ihre Grenzen. Der Traditionsanlass will sich bis 2030 verändern.