Im Songwriting-Camp werden ESC-Hits geboren
Bevor die Schweizer ESC-Kandidatin Zoë Më für das Heimspiel in Basel ausgewählt wurde, absolvierte sie das Songwriting-Camp der Suisa. So auch einige ihrer Vorgänger wie Nemo oder Gjon's Tears. Ist das Camp das Schweizer Erfolgsrezept für den ESC?
Der sanfte Popsong «Voyage» beginnt ganz reduziert, bevor er sich immer mehr verdichtet. Zoë Më wird im Mai mit ihrem Song die Schweiz vertreten. Entstanden ist er unter anderem im Songwriting-Camp der Suisa, der Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik.
Angefangen habe sie in Schottland, erzählte die 24-jährige Freiburgerin an der Bekanntgabe ihres Songs im März. Als sie die erste Strophe, einen Pre-Chorus und Refrain hatte, schickte sie ihr Material dem Komponisten und Produzenten Tom Oehler zu. Komplettiert wurde der Song im Songwriting-Camp der Suisa.
«Unsere Inspiration war Zoë»
«Zoë kam mit einem wunderschönen Klavierinstrumental», sagt die schottische Co-Komponistin Emily Middlemas, die mit Künstlernamen iLi heisst, in einem Video der Suisa. Tom Oehler fügt darin an: «Ich denke, wir wurden alle von der Idee, die sie mitbrachte, inspiriert.» Der Rest des Songs sei von den beiden Musikschaffenden gekommen. «Wir hatten keinen Referenzsong oder eine Vorlage, unsere Inspiration war Zoë», so Oehler.
Seit 2017 organisiert die Suisa das Songwriting-Camp. Seither wurden ganze acht Songs, mit denen die Schweiz am Eurovision Song Contest ins Rennen ging, im Camp geschrieben. Dazu gehört auch der Song «The Code», mit dem Nemo letztes Jahr in Malmö den Sieg holte.
Fast alle Songs schafften es ins Finale
Nicht nur hat ein Song aus dem Songwriting-Camp der Suisa die Schweiz zur Gewinnerin des weltweit grössten Musikwettbewerbs gemacht; mit sechs Beiträgen, die im Camp geschrieben wurden, schaffte es die Schweiz ins Finale. «Bevor es das Songwriting-Camp gab, landete die Schweizer Auswahl seltener im Finale», sagte Erika Weibel, Projektleiterin bei der Suisa, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Neben Nemo besuchte etwa auch der Freiburger Sänger Gjon’s Tears das Suisa Songwriting-Camp. Entstanden ist «Répondez-moi». Der Song wurde für den ESC von 2020 ausgewählt, der dann wegen der Pandemie abgesagt wurde. Ein Jahr später kehrte er mit «Tout l’univers» zurück: Einem Song, den er in einem früheren Camp geschrieben hatte, der aber aus der Ferne überarbeitet wurde. Damit schaffte er es auf den dritten Platz.
Zoë Më kennt ihren Vorgänger bereits länger. Sie begegnete ihm 2018 an der Akademie von Gustav, welche Nachwuchstalente aus der ganzen Schweiz fördert. An der Bekanntgabe ihres Songs «Voyage» sagte Zoë Më ausserdem, dass Gjon’s Tears ein guter Kollege sei und sie in die Welt des ESC eingetaucht sei, als er für die Schweiz am ESC antrat.
ESC-Song-Schmiede über die Grenzen hinaus
Auch für andere Länder sind schon ESC-Songs in musikalischer Zusammenarbeit während des Songwriting-Camps entstanden, wie Weibel erklärte. So etwa Deutschlands Beitrag «Sister» (2019) oder der Titel «Amen», mit dem Österreich 2021 ins Rennen ging.
Sind Songwriting-Camps also ein Erfolgsgarant für die Schweiz? Hier erfunden wurden sie jedenfalls nicht. In der internationalen Popmusikindustrie sind sie längst eine etablierte Porduktionsart von Hits. Länder wie Schweden oder England, wo Songwriting-Camps gängig sind, dürften die Schweiz inspiriert haben.
Der grösste Vorteil eines solchen Formats liege darin, dass es Musikschaffende zusammenbringe, die sonst nie zusammengearbeitet hätten, sagte Pele Loriano, künstlerischer Leiter des Camps Keystone-SDA. «Das Wichtigste ist, dass man die richtigen Leute hat, wenn man einen Song für den ESC schreibt. Man muss die richtigen Autoren und Produzenten für den Künstler oder die Künstlerin auswählen», sagte er Keystone-SDA.
Der Weg vom Camp auf die grosse ESC-Bühne geht über ein Auswahlverfahren: Ist das Camp vorbei, können die jungen Talente ihre Songs der SRG und der Jury zur Auswahl für den ESC vorschlagen. Zoë Më soll bereits Auswahlverfahren mit Nemo dabei gewesen und hinter ihm Zweite geworden sein, wie es in einem Videoclip von «L’info Décryptée» des Westschweizer Fernsehen RTS heisst.
Die Jury wisse dabei nicht, welche Songs im Songwriting-Camp entstanden seien, wie Erika Weibel sagte: Das Stück «Boys Do Cry» mit dem Marius Bear die Schweiz 2022 am ESC vertrat, wurde beispielsweise nicht im Camp-Labor entwickelt.
Fast 145 Stücke in acht Ausgaben
In acht Camps haben 165 Musikschaffende teilgenommen. Rund 145 Songs sind in den Camps entstanden – veröffentlicht wurden jedoch lediglich um die 30. Die Künstlerinnen und Künstler würden selber entscheiden, ob sie einen Song dann auch verwenden möchten, erklärte Erika Weibel.
Die Tatsache, dass der ESC dieses Jahr in der Schweiz stattfindet, freue die Suisa natürlich. Doch der Druck auf das im Juni stattfindende Camp, so die Vermutung, werde dadurch sicherlich grösser. Erika Weibel hofft deshalb, dass die «Magie der Begegnung», welche neue Songideen ankurble, weiterhin da sein werde.