Das Rätsel um die verschwundenen Habsburger nach der Schlacht bei Näfels
Ueli Weber *
Gewonnen. Überlebt. Die Glarner fallen auf die Knie und beten zu Gott. Der Rauch des brennenden Näfels in der Nase, Schnee auf den Lippen. Doch es gibt zu tun, nach der geschlagenen Schlacht. Sie fangen die verschreckten Pferde der erschlagenen Ritter ein. Sie treiben die brüllenden Kühe und Rinder zusammen, welche die Angreifer aus den Ställen gestohlen hatten. Und sie suchen nach verwundeten Feinden, die auf der Flucht zurückgelassen wurden.
Wer den Glarnern in die Hände fällt, den erschlagen sie oder stechen ihn ab und rauben ihn bis aufs Unterhemd aus. Einige der Anführer des Habsburgerheeres findet man laut Berichten nach der Schlacht beisammen tot in einem Garten. Andere Habsburger retten sich in einen Wald, wo sie verbluten, bevor sie gefunden werden.
Heute schätzt man die Zahl der in der Schlacht bei Näfels getöteten Habsburger auf mehrere Hundert. Die 54 gefallenen Glarner und Eidgenossen wurden in der Pfarrkirche in Mollis bestattet. Die toten Feinde verscharrten die Glarner dagegen in Massengräbern, so die Überlieferung. Doch gefunden wurde nie eines davon. Wo sind also all die Toten geblieben?
Die Böden, lehmig und leer
Im Boden rund um Näfels findet man durchaus Spuren der Ereignisse im April 1388. Das mittelalterliche Städtchen Weesen brannte nach der Schlacht bei Näfels ab und wurde nicht mehr aufgebaut. Es gilt heute als ein Pompeji der Schweiz, eingefroren im Moment seines Untergangs. Hier findet man Rüstungen und Waffen, welche die Habsburger auf der Flucht zurückliessen, man findet sogar Schlüssel, die noch im Schloss stecken. Und die Näfelser Letzi, also die Mauer, welche die Angreifer überwinden mussten, ist teilweise immer noch zu sehen.
Ein Platz im Himmel
Näfels 1389. In einer Schlacht sterben die Menschen oft, ohne Sterbesakramente zu erhalten. Ihren Seelen droht die Verdammnis, so die Vorstellung der mittelalterlichen Christen. Die Gefallenen sind darauf angewiesen, dass die Lebenden für sie beten. Schon im Jahr nach der Schlacht beginnen die Glarner eine Prozession, damit ihren Toten dereinst der Platz im Himmelreich nicht verwehrt bleibt. Es ist dieselbe Prozession, die auch heute noch mit der Näfelser Fahrt stattfindet.
Die gleiche Sorge treibt nach der Schlacht auch ihre Gegner um. «Die Habsburger» kommen aber nicht etwa aus dem fernen Österreich, sondern aus dem Zürcher Oberland. Der Abt des Klosters Rüti hat seinen Bruder in der Schlacht von Näfels verloren. Ritter Hans von Wagenberg kämpfte auf der Seite der Habsburger. Für das Seelenheil seines Bruders will Abt Bilgeri von Wagenberg auf dem Schlachtfeld in Näfels ein Kloster bauen. Er bietet dem Land Glarus 12 000 Gulden.
Nur von den Angreifern selber fehlt jede Spur. 1986 untersuchten Archäologen den Boden um einige der Gedenksteine, welche die Fahrtsprozession jedes Jahr abläuft. Sie fanden: nichts. Keine Knochen, keine Waffen. Grabungsleiter Jakob Obrecht hielt fest: «Die Gedenksteine markieren auf keinen Fall Stellen, an denen sich Massengräber befinden. Es konnten jedenfalls keine Spuren davon nachgewiesen werden, obwohl sich gerade Knochen in dem feuchten Lehm gut erhalten hätten.» Die Glarner lehnen das Angebot ab. Sie fürchten, das Kloster werde mit der Zeit die besten Güter im Land aufkaufen. Dafür erlauben sie dem Abt, die Toten auszugraben und nach Rüti zu überführen. Dort will dieser die gefallenen Habsburger anständig begraben und Gottesdienste für sie abhalten.
Der Abt mit der Schaufel
Abt Bilgeri reist am 29. November 1389 mit einem grossen Grabungstrupp nach Näfels. Von den Einheimischen lässt er sich zu den Gräbern führen. Laut Überlieferung hatten die Glarner ihre toten Feinde in ungeweihter Erde auf der Nordseite der Letzi in der Nähe eines Ortes namens «in den Weiden» vergraben. Wenn man den Standort des heutigen Wydenhofs nimmt und mit dem Verlauf der Letzi abgleicht, könnten die Gräber unter dem Parkplatz des Fridli-Centers gelegen haben.
In welchem der Gräber der Abt seinen Bruder oder die anderen gefallenen Adligen findet, kann niemand sagen. Die siegreichen Glarner Bauern hatten keinen Unterschied zwischen den Adligen und einfachen Kämpfern gemacht. Ausserdem waren viele Habsburger ertrunken oder auf der Flucht vor Weesen erschlagen und an Ort und Stelle begraben worden.
Bilgeri nimmt selber ein Werkzeug in die Hand und hilft mit, die halbverwesten Leichenteile auszugraben. Der Abt und seine Helfer schaufeln bis zum Abend und heben drei Massengräber aus. Wen sie da aus der Erde holen, können sie nicht mehr feststellen. 20 Monate lang haben die Toten im Erdreich gelegen. 579 Leichen birgt Bilgeri angeblich an diesem späten Novembertag im Jahr 1389.
Ein grauslicher Totenzug wandert anschliessend nach Rüti. Die Überreste der Gefallenen bestatten sie in der Klosterkirche.
Die verborgene Grabnische
Gut 150Jahre nach der Schlacht hielt der Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi diese Ereignisse fest. Allerdings darf man nicht immer alles glauben, was Tschudi schrieb, denn er neigte zum Hinzudichten. Was stimmt also am Bericht über den Abt, der höchstselbst nach seinem toten Bruder grub und mit Hunderten Leichen nach Rüti zurückkehrte?
Die Antwort findet sich in Rüti. Das Kloster gibt es schon lange nicht mehr. Die Klosterkirche steht aber noch, auch wenn sie mehrfach renoviert und umgebaut wurde.Heute ist sie die reformierte Pfarrkirche Rütis. In den 1960er-Jahren fanden Archäologen in einer zuvor zugemauerten Nische das Grab des Ritters Johann von Klingenberg. Er war einer der Anführer des Habsburgerheeres gewesen und starb bei Näfels. Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher im Boden statt des Skeletts eines einzigen Ritters gleich zwei Dutzend Schädel, die teilweise blutumrandete Löcher aufwiesen – Kriegsverletzungen.
Die Archäologen weiteten die Ausgrabung in den 1980er-Jahren aus und hoben ein Massengrab aus. Rund 120 Leichen fanden sie beim Grabmal Klingenbergs, schätzten die Forscher. Eine genaue Zahl konnten sie nicht bestimmen, die Knochen waren wild zerstreut.
Eine Untersuchung der Gebeine im anthropologischen Institut der Universität Zürich ergab, dass es sich vorwiegend um junge Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren handelte. Dazu kamen einige wenige 40-Jährige. Andere waren noch Buben, als sie in Näfels getötet wurden. Sie alle fanden zusammen in Rüti die Ewige Ruhe.
* Dieser Text erschien erstmals 2020. Er erscheint jetzt in einer leicht überarbeiteten Version.
Die Schlacht bei Näfels hat Hunderte Habsburger das Leben gekostet. Massengräber wurden aber nie gefunden.
Wo sind also ihre Leichen geblieben? Die Spurensuche führt ins Zürcher Oberland.
Abt Bilgeri nimmt selber ein Werkzeug in die Hand und hilft mit, die halbverwesten Leichenteile auszugraben.