Es begann mit einem Zettel
Simon Scheidegger (sda)
Im Maison am Berner Theaterplatz herrscht am Vormittag des 1. Aprils Hochbetrieb, auch wenn das Lokal seine Türen eigentlich erst am späteren Nachmittag öffnet. Anouk und Zoé Vergé-Dépré ha-ben in zwei grossen Sesseln Platz genommen und erzählen, wie sie fortan nicht nur als Schwestern, sondern auch als Partnerinnen auf dem Beachvolleyball-Feld agieren werden.
Vater und Athletiktrainer Jean-Charles beobachtet die Szenerie. Der 69-Jährige lehnt sich locker an der Bartheke an und sagt: «Ich ha-be schon lange davon geträumt, dass meine Töchter einmal zusammenspielen. » Auf dem Gesicht des gebürtigen Franzosen zeichnet sich ein Lächeln ab. Die Vorfreude ist spürbar, dass dieser Traum nun in Erfüllung geht.
Schokolade und ein «Ja»
In der Beachvolleyball-Szene wurde schnell einmal gemunkelt, dass nun doch ein guter Zeitpunkt dafür sein könnte, dass sich die Schwestern zu einem Duo zusammenschliessen. Schliesslich standen nach der vergangenen Saison sowohl Anouk als auch Zoé ohne Partnerin da, nachdem sich Joana Mäder für eine Pause und Esmée Böbner für den Rücktritt vom Spitzensport entschieden hatte. Und auch am Familientisch kam die Thematik immer mal wieder auf.
Die Töchter lassen sich jedoch nicht beeinflussen. Sie treffen sich zu mehreren Gesprächen, wägen Vor- und allfällige Nachteile ab, diskutieren, wie eine sportliche Zusammenarbeit konkret aussehen könnte und überlegen, welche Massnahmen sie treffen müssten, um ihre enge Beziehung als Schwestern zu schützen.
Als sie alles diskutiert haben, wählt Zoé ein altbekanntes Ritual, um die sportliche Partnerschaft mit ihrer Schwester zu offizialisieren. Sie legt einen Zettel in Anouks Briefkasten, auf dem sie fragt: «Willst du meine Beachpartnerin sein? Ja, Nein, Vielleicht». Anouk setzt das Kreuz beim «Ja» und legt den Zettel mit Schokolade zurück in den Briefkasten. Das ist die offizielle Geburtsstunde von Team Zouk. Ein Name, der sich einerseits aus den beiden Namen der Schwestern zusammensetzt, aber auch ihre Wurzeln auf der Karibikinsel Guadeloupe berücksichtigt: Auf Kreolisch bedeutet «Zouk» «Freude», bezeichnet aber gleichzeitig auch einen karibischen Musikstil, der bei den Schwestern Vergé- Dépré oft zu hören ist.
«Ich finde, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, zusammenzuspannen », sagt Anouk. Die 33-Jährige ist sechs Jahre älter als Zoé. Entsprechend hätten sie auf dem Beachvolleyball-Feld lange nicht so viele Berührungspunkte gehabt, weil Anouk eben schon auf der World Tour unterwegs war, als noch gar nicht klar schien, ob ihre jüngere Schwester auch eine Karriere im Sand anstreben wollte.
Zoés gefüllter Rucksack
Doch in den letzten Jahren merk-te Anouk, dass auch Zoé eine Passion für diesen Sport hat, und sie sah, welche Fortschritte sie mach-te. Nicht zuletzt auch dann, als sie sich als Konkurrentinnen um den zweiten Startplatz an den Olympischen Spielen 2024 in Paris gegenüberstanden – und sich Zoé an der Seite von Böbner durchsetzte.
Sie erinnern sich an die EM 2018, als das Geschwister-Duo unverhofft schon einmal wettkampfmässig in den Sand stieg, weil Anouks damalige Partnerin kurzfristig ausfiel. Die Schwestern schieden im Achtelfinal aus. «Damals war ich die kleine, unerfahrene Juniorin. Jetzt habe ich viel mehr in meinem Rucksack», so Zoé.
Die Konstellation als Schwestern und gleichzeitig Partnerinnen in ihrem Beruf erfordert dennoch gewisse Massnahmen. Anouk und Zoé kommunizieren in zwei separaten Chats miteinander, einmal begegnen sie sich als Schwestern, einmal als Berufskolleginnen. Dadurch soll Berufliches und Privates besser getrennt werden. Denn ihnen ist bewusst: Wenn man von Turnier zu Turnier reist, verbringt man sehr viel Zeit miteinander.
Zurück am Block
In der Saisonvorbereitung habe das schon gar nicht so schlecht geklappt, wobei es doch einen Grund hat, weshalb das Duo erst am Donnerstag am Elite-16-Turnier im brasilianischen Saquarema in die Saison starten wird. Im Training in Rio de Janeiro zog sich Anouk eine offene Zehenluxation zu, als sie beim Absprung mit der Seitenlinie einfädelte. Sechs Wochen musste die 33-Jährige pausieren und konnte sich erst langsam wieder in den Sand wagen. Sie sagt: «Ich bin gespannt, wie es sein wird, die Dinge, die wir zusammen trainieren, in einem Spiel umzusetzen.» Die Olympia-Bronzemedaillengewinnerin von Tokio muss sich nämlich umstellen. Spielte sie an der Seite von Mäder in der Verteidigung, wechselt sie nun in den Block. «Ich werde bei jedem Service nach vorne sprinten müssen. Das ist konditionell schon eine Umstellung.» Team Zouk muss nicht gleich beim ersten Turnier alles gelingen. Das Wichtigste ist die langfristige Perspektive mit dem Fernziel Olympische Spiele in Los Angeles 2028. Es wäre ein weiterer schöner Traum, der sich für Vater Jean-Charles erfüllt.
Anouk und Zoé Vergé-Dépré starten in ihre erste gemeinsame Saison als Beachvolleyballerinnen. Für die Schwestern ist es der Start in ein Abenteuer, das auch mit Herausforderungen verbunden ist.