Ein Mailänder Amateurklub mischt das Profigeschäft auf
Adrian Lobe
Wenn es um «Multiclub ownership», also Mehrfachbeteiligungen an Vereinen, geht, werden gerne antikapitalistische Reflexe bedient: Von «Kommerz» und «Heuschrecken» ist dann die Rede, von einer «Disneyfizierung» des Fussballs. Investoren wie die von der Herrscherfamilie Abu Dhabis kontrollierte City Football Group kaufen auf der ganzen Welt Fussballklubs und führen sie als Franchise wie McDonald’s-Filialen. Auch die Brera Holdings ist so eine Konstruktion, eine börsennotierte sogar. Und doch ist Brera Calcio anders als die «Big City Clubs» dieser Welt: ein italienischer Amateurverein, der gegen den Kommerz antritt und die Bühne nicht den Scheichs und Oligarchen überlassen will. Ein Fair Trade des Weltfussballs, der sich mit den Schwachen solidarisiert und den Strassenfussball in die Stadien zurückholen will. Klingt nach Fussballromantik? Ist es auch. Doch der Reihe nach.
Ein drittes Team als Ziel
Die Geschichte beginnt im Mailänder Künstlerviertel Brera. Dort, zwischen Literatencafés und Galerien, wo einst der Maler Modigliani seine Kunstwerke schuf und die Dandys ihren Kaffee noch immer «al banco» trinken, gründete der Journalist und Verleger Alessandro Aleotti im Jahr 2000 einen Fussballverein: Brera Calcio. Sein ambitioniertes Ziel: eine «terza squadra milanese», ein drittes Mailänder Team.
Das klang nach einem verwegenen Plan, schliesslich sind Inter und Milan zwei etablierte Weltmarken, und in einer Stadt, in der die Wahl zwischen Nerazzurri und Rossoneri fast schon wichtiger ist als zwischen Armani und Prada, schien es keinen Platz für einen dritten Wettbewerber zu geben. Doch der erfahrene Medienmacher wusste, wie man Geschichten verkauft, und so gelang es ihm, keinen geringeren als den früheren Nationaltorwart und Inter-Legende Walter Zenga als Trainer anzuheuern.
Bei der Mannschaftspräsentation liess Aleotti, der Mann von Welt, Gerichte aus Madagaskar servieren. «Mit einer Flotte von Hostessen, die nicht unbemerkt bleiben konnten», notierten die Chronisten der «Gazzetta dello Sport» damals, «verkaufte er die ersten Dauerkarten.» Im Jahr 2000 feierte Brera Calcio sein Heimdebüt in der viertklassigen Serie D in der wiedereröffneten Arena Civica, dem ältesten Stadion Europas, das einst Napoleon Bonaparte anlässlich seiner Krönung zum König von Italien erbauen liess. Dort wurden dann Speisen aus Sri Lanka gereicht. Kosmopolitismus und Calcio, das war die Rezeptur des Projekts.
Eine Mannschaft für Insassen
Aleotti, ein Schöngeist, der sich in fussballphilosophischen Schriften mit der «Natur des Spiels» befasste («Fussball als himmlisches Erlebnis », Anm. d. Red.) und in Mailänder Intellektuellenkreisen ein gewisses Standing hat, hatte mit dem «Milanomondo» bereits ein viel beachtetes Turnier für ethnische Minderheiten organisiert und sich weiteren Integrationsprojekten verschrieben. Unter anderem startete er die Initiative FreeOpera Brera, eine Fussballertruppe, die sich aus Insassen des Gefängnisses Carcere di Opera rekrutierte, in dem Schwerverbrecher wie der berüchtigte Mafia-boss Francesco Schiavone einsitzen. Mafiosi statt Tifosi.
Nach ein paar Trainingseinheiten mit den Wärtern trat das Team in der Saison 2003/2004 in der Terza Categoria, der untersten Spielklasse Italiens, an. Damit die Gefangenenmannschaft überhaupt am Ligabetrieb teilnehmen konnte, waren zahlreiche Genehmigungen durch den Verband und Behörden nötig. Auch das Justizministerium in Rom musste sein Placet erteilen. Die Häftlinge konnten schlecht zu Auswärtsspielen reisen, also kamen die Gegner in die Haftanstalt. Die hoch motivierten Knast-Kicker spielten ihren ungewöhnlichen Heimvorteil aus und gewannen prompt die Meisterschaft, was Aleotti landesweit viel Anerkennung einbrachte. «Ein Kelch namens Freiheit», titelte das Magazin «Vita».
«Freunde statt Millionäre»
Für Brera lief es dagegen sportlich eher weniger rund, das Team stieg zwischenzeitlich sogar ab und dümpelt bis heute in unterklassigen Ligen herum. Dem Gründer ging es aber nie um sportlichen Erfolg, sondern vielmehr um die sozialintegrative Funktion des Sports.
Im Lockdown 2020 kamen Aleotti und sein Sohn auf die Idee, einen alternativen Wettbewerb auszutragen: einen Europacup für Amateure. Das Budget war anfangs so knapp kalkuliert, dass Aleotti ein Erasmus-Stipendium beantragte. Obwohl die EU-Förderung ausblieb, schaffte es der Fussball-Visionär, während der Pandemie ein Turnier auf die Beine zu stellen: die Fenix Trophy, die «Champions League für Amateure ». Unter dem Motto «Freunde statt Millionäre finden» treten Amateurteams aus ganz Europa gegeneinander an, unter anderem der FC United of Manchester, eine Abspaltung der «Red Devils», die sich aus Protest gegen den Einstieg der Glazer-Familie gegründet hat. Preisgelder gibt es keine, die Teams bezahlen Anreise und Unterkunft selbst. Ein Turnier, frei von Glanz und Glamour, vom Gehabe mächtiger Funktionäre, fokussiert auf das Wesentliche.
Das Turnier, das von Brera veranstaltet wird und inzwischen von der Uefa offiziell anerkannt ist, hat sich international herumgesprochen und das Interesse von Investoren geweckt. 2022 stieg eine Gruppe um den US-Geschäftsmann Chris Gardner, dessen Geschichte vom Obdachlosen zum Börsenmakler von Hollywood verfilmt wurde (mit Will Smith in der Hauptrolle, Anm. d. Red.), bei Brera ein.
Brera Calcio versteht sich als Entwicklungsprojekt, das Sportförderung mit sozialem Engagement verbindet. So werden Kinder in einem Waisenhaus in Mosambik gecoacht und mit Lebensmitteln und Hygieneprodukten versorgt. «Multi-club ownership mit sozialem Gewissen» nannte es die BBC. In der Metropolregion am Golf von Neapel sieht das Management Wachstumschancen. Ist das nun Kommerz? Vielleicht. Aber auch Fussballromantiker müssen von irgendetwas leben.
Der Fussballklub Brera Calcio unterstützt Häftlingsmannschaften und leistet Entwicklungshilfe in Afrika. Mitten in der Pandemie lancierte der Verein zudem einen alternativen Europacup.
Klingt nach Fussballromantik? Ist es auch.
Preisgelder gibt es keine, die Teams bezahlen die Anreise und Unterkunft selbst. Ein Turnier, frei von Glanz und Glamour, fokussiert auf das Wesentliche.