Beat Feuz über Odermatt, Wengen, Kitzbühel und Kamerafahrten

Beat Feuz kehrt ein Jahr nach seinem Rücktritt vom Skirennsport als SRF-Co-Kommentator nach Kitzbühel zurück. Im Interview vergleicht der bald 37-jährige Berner Marco Odermatt mit Novak Djokovic.

Feuz, einer der erfolgreichsten Abfahrer der Geschichte, erzählt zudem im Gespräch mit Keystone-SDA von Windschatten-Spielen bei Tempo 110 und gibt zugleich zu, dass es ihn nicht mehr reizt, die Streif oder andere Pisten nochmals im Renndress zu meistern.

Beat Feuz, im Januar 2023 bestritten Sie am Lauberhorn und Hahnenkamm Ihre letzten Rennen. Mit welchem Gefühl reisten Sie dieses Mal – als Co-Kommentator von Schweizer Radio und Fernsehen – nach Wengen und nun Kitzbühel?

«Viel entspannter. Klar war ich auch schon letztes Jahr vergleichsweise entspannt, da ich meinen Entscheid zum Rücktritt schon einige Wochen zuvor gefasst hatte. Nun bin ich in einer anderen Funktion hier und habe nicht mehr diesen Druck. Ich erzähle über die Strecken und gebe mein Wissen weiter. Es ist also definitiv gemütlicher respektive anders als vorher.»

Verspürten Sie bei der Anreise vielleicht etwas Wehmut, dass Sie diese zwei Klassiker nicht mehr fahren können?

«Nein. Dieses Thema konnte ich mit dem Rücktritt abschliessen.»

Wirklich kein Kribbeln mehr?

«Absolut nicht. Ich weiss, was es braucht, um ganz vorne sein zu können. Aber diesen Einsatz kann und will ich nicht mehr geben. Es passt für mich zu hundert Prozent.»

Aber könnten Sie in Wengen oder Kitzbühel noch in die Punkte fahren?

«Keine Ahnung. Wenn man mich in Wengen mit der Nummer eins starten lässt (tiefe Startnummern sind am Lauberhorn klar im Vorteil – Red.), dann vielleicht schon. Aber mit Startnummer dreissig sicher nicht mehr. Sobald die Piste wellig und mit Schlägen durchsetzt ist, dann würde ich mich nicht mehr trauen. Und in Kitzbühel ist das Ganze noch extremer. Mich reizt es schlicht nicht mehr, im Renndress am Limit den Berg runterzufahren.»

Aber vielleicht noch Fahrten mit der TV-Kamera?

«Lustig, dass Sie das erwähnen. Zu Beginn, als ich mit SRF über meine Aufgabengebiete diskutierte, hatte ich spontan ‚Ja‘ gesagt. Danach liess ich es zuhause zwei, drei Wochen auf mich wirken. Wir diskutierten es auch als Familie. Da merkte ich: ‚Nein, ich will es gar nicht mehr.‘ Also nahm ich das Telefon in die Hand und sagte den Verantwortlichen, dass sie bitte einen anderen dafür suchen sollen.»

Aber letzten Samstag in Wengen…

«…okay, da habe ich mich überreden lassen. Wengen ist die Ausnahme. Aber sicher will ich nicht in Kitzbühel nochmals runter, in Gröden über die Buckel oder in Bormio über das Eis.»

Hatten Sie den Abschied, den Sie haben wollten? Sie zeigten in Wengen wie Kitzbühel noch gute Leistungen, allerdings schafften Sie es nicht mehr in die ersten drei.

«Das war nicht mehr möglich. Eher noch in Wengen, aber dafür hätte ich Bomben-Wetter und eine gute Startnummer gebraucht. Aber ob ich zum Abschluss in Wengen Fünfter oder Dritter werde, das ändert an meiner Karriere rein gar nichts. Es ging in diesen letzten vier Rennen in erster Linie darum, keinen ‚Seich‘ mehr anzustellen. Deshalb nahm ich unbewusst zwei, drei Prozent weniger Risiko. Ich habe das jeweils schon am Start gemerkt, da war definitiv nicht mehr der gleiche Fokus wie zuvor in meiner Karriere. Deshalb: Mein Abschied war exakt so, wie ich ihn mir vorgestellt habe.»

Vor allem auch die überraschende Bekanntgabe des Entscheids kurz vor Weihnachten 2022.

«Genau. Da liess ich die Bombe platzen. Im Vorfeld waren nur eine Handvoll Leute eingeweiht. Genauso hatte ich es mir in den Jahren zuvor vorgestellt, als ich mir manchmal überlegte, wie ich zurücktreten werde. Ich wollte nie Ende Saison sagen: ‚Jetzt ist Schluss.‘ Wengen und Kitzbühel nochmals geniessen und mit den Leuten Abschied feiern zu können, das hat perfekt gepasst.»

Ihnen war sehr wichtig, gesund abzutreten. Tennis spielen, Biken, Wandern, mit Ihren Töchtern herumtollen – können Sie tatsächlich noch alles machen?

«Das linke Knie lässt das alles noch zu. Na ja, mal mehr, mal weniger. Aufpassen muss ich schon noch. Aber das Knie hat sich etwas erholt, es ist jetzt besser als vor einem Jahr. Ich bin zwar nicht ganz gesund abgetreten. Aber immerhin noch gesund genug, um selber ins Ziel fahren zu können.»

Ihre Tipps werden von den aktiven Rennfahrern wie Justin Murisier und Marco Odermatt immer noch geschätzt.

«Justin und ich tauschen uns regelmässig aus. Er fährt mit Head die gleiche Skimarke wie ich auch gefahren bin. Meistens geht es nicht darum, Tipps zu geben. Es handelt sich vielmehr um eine Diskussion. Das hilft einem Athleten sehr. Auch mit Marco waren es in den Jahren zuvor Diskussionen, von denen beide profitiert haben. Und ja, es kann noch jetzt auf Besichtigungen zu Diskussionen mit Odermatt, Murisier oder auch anderen Fahrern kommen. Aber klar: Sie kommen zu mir, wenn Sie sich austauschen wollen. Ich will Sie nicht stören.»

Finden Sie Worte für das, was Marco Odermatt leistet?

«Nein, da gibt es nicht mehr viele Worte. Das habe ich ihm nach seinem Super-G-Sieg in Bormio auch so geschrieben. Zudem, dass er mit jedem Sieg und Podestplatz noch ein bisschen stärker, seine Konkurrenten hingegen zugleich etwas schwächer werden. Gerade im Riesenslalom kommt es mir manchmal so vor, dass ausser Marco gar keiner mehr mit dem Sieg rechnet.»

Odermatt hat sich quasi die Aura eines Unbesiegbaren erschaffen.

«Es ist ein ähnliches Phänomen wie bei Novak Djokovic. Dessen Konkurrenten haben fast Angst, gegen ihn anzutreten, weil sie wissen, dass sie nicht gewinnen. Das findet Djokovic natürlich cool, denn es bedeutet für ihn schon der halbe Sieg. Mir kommt es vor, als müsse sich Marco im Starthaus eines Riesenslaloms vergleichbar fühlen.»

Wer kann ihn stoppen?

«Keiner.»

Vielleicht er sich selbst, indem er es einmal übertreibt?

«Das wäre möglich. Es wird aber nicht passieren, dafür ist er zu schlau.»

Sie waren einmal nahe am Gewinn der grossen Kristallkugel. Sie waren sogar der einzige Fahrer, der Marcel Hirscher bei einem seiner acht Gesamtweltcup-Triumphen bis zuletzt fordern konnte.

«Ja, 2012 kam ich als Führender zum Weltcup-Finale.»

Bedauern Sie, dass Sie damals den Gesamtweltcup nicht gewonnen haben?

«Ich bin damals die halbe Saison mit einem kaputten Knie gefahren. Wäre das nicht passiert, dann wäre nachher vielleicht noch mehr möglich gewesen. Aber es ist eben geschehen, das konnte ich nicht rückgängig machen. Deshalb musste ich froh sein, was nach 2012 noch ging. Der grossen Kristallkugel trauere ich nicht nach.»

Sie können seit Ihrem Rücktritt sehr viel Zeit mit der Familie verbringen. Aber der einen und anderen Beschäftigung gehen Sie doch immer noch nach.

«Vieles davon hat sich schon während meiner Zeit als Aktiver entwickelt. Zum Beispiel mit Ochsner Sport war schon länger abgesprochen, dass die Partnerschaft weitergeht. Dazu gibt es weitere Partnerschaften, teilweise sehr langjährige wie Head und Raiffeisen, mit denen ich auch nach meinem Rücktritt zusammenarbeiten darf. Auch bei E-Framer(einem Schweizer Hersteller von E-Bikes – Red.) bin ich immer noch dabei.»

Und gerade letzte Woche am Lauberhorn war es wieder zu verfolgen: Sie sind Co-Kommentator bei Schweizer Radio und Fernsehen. Den ersten grossen Auftritt hatten Sie im Dezember in Gröden. Wie zufrieden waren Sie danach?

«Ich wollte so sein, wie ich immer bin. Zufrieden? Selbst konnte ich es absolut nicht einschätzen. Doch die Rückmeldungen sind positiv.»

Auch am Lauberhorn war viel Lob über die Art und Weise, wie Sie Ihre Rolle ausüben, zu hören. Ging der Rollenwechsel einfach vonstatten? Manchmal interviewen Sie fürs Programm vor den Rennen auch Ihre ehemaligen Trainer.

«Das ist sicher noch der anspruchsvollste Teil für mich. Das habe ich ja nicht gelernt und ich bin nicht wirklich geübt darin.»

Die Kamera-Verfolgungsfahrt letzten Samstag mit Marc Berthod war speziell anzusehen. Es schien, als würden Sie die Geschwindigkeit durchaus geniessen. Mussten Sie fest bremsen, dass Berthod mithalten konnte?

«(lacht) Mit dem Überholen hat es Spass gemacht. Gerade bei der Übungsfahrt einige Tage zuvor rückte ich ihm einige Mal sehr nahe. Wir waren da bei Tempo 110 nur noch einen oder zwei Meter voneinander weg. Ob man im Windschatten ist oder nicht, spielt eine riesige Rolle – man holt da gewaltig schnell auf.»

Und wer von Ihnen wäre ohne Windschatten der Schnellere?

«Hoffentlich ich. Marc hat seinen Rücktritt schliesslich schon einige Jahre vor mir gegeben. Aber eben: Ich will ja gar nicht mehr in einem Renndress und gegen die Zeit fahren.»